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Auf zwei Planeten - Ungekürzte Ausgabe in zwei Büchern

Auf zwei Planeten - Ungekürzte Ausgabe in zwei Büchern

Titel: Auf zwei Planeten - Ungekürzte Ausgabe in zwei Büchern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurd Laßwitz
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Angst. Sie fürchtete für seinen Verstand. War das seine fixe Idee, die jetzt mit ihren Wahnvorstellungen zum Ausbruch kam?
    Er stand auf und ging zur Tür. Isma blieb ratlos sitzen. Nur wenige Augenblicke, dann sprang sie auf.
    Grunthe trat in das Zimmer. Er machte seine steife Verbeugung.
    Isma starrte auf ihn wie auf eine Erscheinung.
    »Lesen Sie diese Depesche«, sagte Ell zu Grunthe. »Frau Torm hat sie heute früh empfangen.«
    Grunthe las, sah noch einmal nach dem Datum, und sagte dann: »Das ist eine sehr günstige Nachricht, unter den einmal vorhandenen Umständen.«
    »Und nun bitte, Grunthe«, rief Ell, »tun Sie mir den Gefallen und geben Sie Frau Torm einen kurzen Bericht über Ihre Erlebnisse. Kommen Sie, setzen wir uns.«
    Grunthe sprach in seiner knappen, fast trockenen Weise. Da war nichts übertrieben, keine Vermutungen, kein subjektives Urteil, alles klar wie ein mathematischer Beweis.
    Isma saß regungslos. Ihre weitgeöffneten Augen hingen an Ell. Es überkam sie wie ein Gefühl der Ehrfurcht.
    »Und nun ich hier bin«, schloß Grunthe, »darf ich keine Minute versäumen, den Bericht fertigzustellen. Wir haben alle unsre Kräfte anzustrengen, das zu beweisen, was uns niemand wird glauben wollen. Ich darf daher wohl auf Entschuldigung rechnen, wenn ich mich jetzt wieder zurückziehe. Würden Sie mir noch einen Augenblick schenken?« setzte er zu Ell gewendet hinzu.
    Er verbeugte sich gegen Isma und wollte gehen.
    Da sprang Isma auf und trat dicht vor Grunthe, der mit zusammengekniffenen Lippen stehenblieb.
    »Ist es wahr«, fragte sie, »das Luftschiff liegt noch draußen?«
    »Gewiß.«
    »Und in sechs Stunden kann man zum Nordpol gelangen?«
    Grunthe nickte bestätigend.
    »Ich bin heute früh selbst in einer Stunde nach Wien und wieder zurückgefahren«, setzte Ell hinzu.
    »Ich danke Ihnen«, sagte Isma zurücktretend.
    »Entschuldigen Sie mich auf einen Augenblick – ich bin sogleich wieder hier«, sagte Ell zu Isma, indem er mit Grunthe das Zimmer verließ.
    Sie nickte schweigend. Ihre Gedanken waren bei dem Luftschiff. In sechs Stunden konnte man am Nordpol sein – nur sechs Stunden! So lange braucht der Schnellzug nach Berlin. Das ist eine Spazierfahrt. Sechs Stunden nur trennten sie von Hugo. – Wenn das Glück günstig war, wenn das Schiff die richtige Bahn beschrieb, so mußte man ihn bemerken, so konnte man ihn aufnehmen und zurückbringen – noch heute konnte er in Friedau sein –
    Ach, aber ihn scheiden die Wüsten des Eises, die unzugänglichen Meere, die noch kein Forscher zu durchqueren vermochte – dort sitzt er in der kläglichsten Schneehütte, Monat auf Monat, ohne Licht, ohne Tat – in ewiger Nacht trauernd und sich sehnend nach der Heimat, umgeben von den Gefahren des furchtbaren Winters. – Und hier daheim, hier reifen die Früchte seiner kühnen Fahrt, hier drängt sich von Stunde zu Stunde neues, lebendiges Schaffen, hier vollzieht sich das Unerhörte, noch nie Gewesene – von den Sternen steigen die Götter herab, um die Menschen zu laden zu ihrem seligen Wandel – hier, in dieser Stadt, in diesem Hause wird ein neues Zeitalter geboren, und er weiß nichts davon, kann nicht teilnehmen an dem Großen, was die ganze Erde erfüllt, an dem Höchsten, was erlebt wurde und was ihr Herz so erwartungsvoll schlagen macht – und sie muß es allein erleben –
    Und vielleicht nur sechs Stunden –
    Allein – den ganzen Winter allein in solcher Zeit, wo Seele zu Seele gehört – allein? Ja, wenn sie allein wäre! Aber der Freund? Wo bleibt er? Er ist länger draußen aufgehalten, aber er wird kommen – er wird kommen so wie heute, dann jeden Tag, der einzige Vertraute, mit dem sie alles teilen muß, was das Herz bewegt – mit ihm wird sie allein sein, der ihr so wert ist, so lieb, und nun vor ihr steht in einem neuen, geheimnisvollen Licht, der Sohn einer höheren Welt, zu dem sie aufblickt –
    Nein, nein! Sie will nicht allein sein, und nicht allein mit ihm –
    Sie ringt die Hände und geht auf und ab im Zimmer. Sie blickt nach der geschlossenen Tür und glaubt seine Stimme zu hören. Sie blickt nach der Uhr – und der Gedanke läßt sie nicht los: Nur sechs Stunden! In sechs Stunden kann alles entschieden sein –
    Ja, wenn sie mitfahren könnte, durch die Lüfte reisen nach dem Reich des Eises, wo er weilt – sie würde ihn finden, sie würde ihn ausspähen, wo er sich auch bärge, im Boot von Seehundsfell, in der Hütte von Schnee – bis in die

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