AUFBRECHEN! - Warum Wir Eine Exzellenzgesellschaft Werden Muessen
aber, dass heute fast alle Kinder dann Abitur machen, wenn die Eltern Abitur haben. Wenn die Eltern dagegen kein Abitur haben, schafft nur ein Viertel der Kinder selbst das Abitur. Die Presse wettert seit Jahren, dass da ein soziales Ungleichgewicht entstanden sei. Hier ist wieder eine Schere zu beklagen – diesmal die Bildungsschere. Berufe, die automatisiert werden, leiden unter beiden Phänomenen. Sie geraten in die Einkommens- und in die Bildungsschere.
Ich will es, sehr vereinfacht, so darstellen: Die Erzieherin kommt noch einmal in der späten Jugend auf uns zu, wenn wir sechzehn oder neunzehn Jahre alt sind, und sagt: »Du kannst jetzt gleich Geld mit einem Anlernjob verdienen, das Geld liegt da auf dem Tisch. Ich gehe jetzt eine Zeit lang hinaus. Wenn ich zurückkomme und du dann ein Abitur oder sogar ein Diplom gemacht hast, bekommst du sehr viel mehr Geld, dazu Zufriedenheit und das tiefe Gefühl einer Selbstwirksamkeit in einem Beruf, der auch Lebenserfüllung bietet.«
Es wird von uns eben erwartet, dass wir sehr viel mehr Fähigkeiten erwerben. Aber wie kann das gehen?
Ich hole mal einen großen Hammer heraus. Wann lernt ein Kind am besten in der Schule? Wenn die eine oder andere Wetterlage für das Kind günstig ist:
Es ist offen, neugierig, lebendig, freundlich und pflichtbewusst.
Es bringt großes Interesse für den Schulstoff mit.
Es ist ihm klar, dass das Gelernte total nützlich ist und ihm im späteren Leben Grundstein des Erfolges wird.
Es hat gute Lehrer und fördernde Eltern.
Es spürt eine Sehnsucht, eine gefühlte Begabung bis zur Meisterschaft zu erschließen.
Es hat die Einsicht, dass die Arbeitswelt später und damit auch die Schulwelt heute ein professionelles Verhalten erfordern.
Es will später Star werden und viel Geld machen und es weiß, dass ihm das nicht ohne eigene Anstrengung geschenkt wird.
Es hat den Ehrgeiz, immer oben mitzumischen und gute Zeugnisse zu bekommen.
Es will von Lehrern und Eltern für die Leistungen gemocht werden und bekommt auch die entsprechende Resonanz.
Es will solchen Eltern oder Lehrern nacheifern, die es als Vorbild sieht.
Es weiß, was es kann und was es noch nicht kann.
Alle diese günstigen Bedingungen hängen weniger an den Genen oder am IQ . Es geht um Einstellungen zum eigenen Leben und um das Antreffen günstiger Konstellationen. Bei einer großen Schulveranstaltung zur »Abi für alle«-Frage sagte ein Schüler unwidersprochen: »Ich kenne keinen einzigen aus meinem Jahrgang, den der Schulstoff wirklich interessiert, und ich kenne keinen, der herkommt, um wirklich zu lernen.« Alles schwieg sekundenlang. Merken Sie, wie ungeheuer viel Potenzial brachliegt, wenn das so ist – wenn also heute keine wirklich günstigen Konstellationen herrschen? Spüren Sie, wie viele Schüler wirklich lernen könnten, wenn die Bedingungen günstiger wären?
Ich bin seit einem Vierteljahrhundert in der Jury der deutschen Studienstiftung und sichte Hochbegabte. Die wirklich Hochbegabten zeigen Neugier, Offenheit, Interesse, fühlen eine Art von Berufung oder eifern manchmal hohen Vorbildern nach. Reiner Ehrgeiz oder allzu viel Gemochtwerdenwollen hilft im Beruf oft sehr, taugt aber meist nicht für die wirkliche Spitze. Das größte Geschenk sind wohl unzweifelhaft wirksame Vorbilder. Das wird immer in den Lebensläufen deutlich, die von tiefer Dankbarkeit gegenüber einem Lieblingslehrer oder Elternteil durchtränkt sind. »Mein Großvater hatte eine große Bücherwand und las mir sichtlich gerne vor, wann immer ich wollte.« – »Mein Physiklehrer bat mich, ihm am Nachmittag beim Aufbau der Experimente zu helfen.« – »Der Schulleiter vertraute mir den Computer-Pool an und ließ mich ein ganzes Netz aufbauen.« – »Ich interessierte mich für Literatur. Da gab man mir die Aufgabe, die Schulbibliothek zu erweitern.«
Kinder, Schüler, Studenten und Mitarbeiter müssen fühlen, wie sie sich entwickeln und dass aus ihnen etwas wird. Sie gedeihen in einer Umgebung, die sich sichtlich am Werden mitfreut. Der wirkliche Erfolg ist nicht in den Genen, nicht im Müssen, nicht im prinzipiellen Können, sondern im Werden und im Werdenwollen. Dazu braucht man eine Infrastruktur der Erziehung, Bildung und Personalentwicklung, die das Werden begünstigt und das Wollen wohlwollend unterstützt, nie aber hemmt oder zurückweist.
Bitte sehen Sie sich einmal die ersten Runden von ein paar Castingshows an. Von Super-Models, Super-Stars, von Sommermädchen oder
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