AUFBRECHEN! - Warum Wir Eine Exzellenzgesellschaft Werden Muessen
– und gerade bei ihnen!
Die Entwicklung verzweigte sich. Die treudeutsche Kultur spaltete sich unter der extremen Arbeitsverdichtung in einen Teil, der ganz automatisiert wurde oder in den Niedriglohnsektor abwanderte. Hier herrschen nun sehr oft brutale Sitten wie unter Alleinherrschern:
Lkw-Transport
Reinigungsdienste
Callcenter
Einzelhandelsarbeit (»unter laufenden Beobachtungskameras«)
Leiharbeiter, Fremdarbeiter im Bau
Schwarzarbeiter aus dem Ausland
Billig-Altenpflege
Fastfood-Produktion
Die andere Seite versuchte in den Premiumsektor zu fliehen. Man begann unter enormem Kostendruck, die Qualität der Produkte und Services und ihre Preise intransparent werden zu lassen:
Banken vertreiben unverständliche Zertifikate als »Premiumservice« und »Top-Kunden-Beratung« (das hat zur Finanzkrise beigetragen).
Versicherungen verkaufen Bündel (»Allround-Sicherheit«), deren Preisgestaltung nicht durchsichtig ist.
Handyverträge mit Inklusivhandys sind unverständlich und irreführend, der Wert der »geschenkten« Handys ist vollkommen schleierhaft.
Flugtarife sind zum Dschungel geworden, jeder zahlt etwas anderes, die Business Class kostet Unsummen »für ein Brötchen mehr«.
Callcenter tricksen mit Telefonüberfällen zu Hause und schwatzen Verträge auf.
Bahntarife sind nicht einmal von den Bediensteten handhabbar.
Tankstellen nutzen die Notlage der Käufer mit absolut überhöhten Preisen aus, was man »Convenience Store« nennt.
Waschmittel werden in allen Packungsgrößen angeboten, nicht mehr in Kilogramm, sondern in Waschladungen, 18, 36, 54, 75, 90, 100 …
Ärzte beginnen, Sonderbehandlungen anzubieten, für die sie privat abrechnen.
Apotheken nehmen Bio-Heil-Health-Supervitamin-Natur-Sortimente auf, die im Preis nicht durchschaubar sind.
Handelsketten bieten »Spezialitäten« aus fremden Ländern mit Fantasiemarken.
Pharmafirmen mischen den bewährten Wirkstoffen ein bisschen »Zusatzvitamine« bei und verkaufen alles als rettendes, völlig neues Medikament.
Universitäten tricksen mit Publikationen, um »Impact Factors« zu optimieren.
Der Sport verkommt zunehmend entlang seiner Dopingskandale.
Diese Seite wirkt wie das heute sogenannte Casino der Wall Street. Es geht nicht mehr um normales Arbeiten, sondern um das Gewinnen. Notfalls werden Fakes geliefert, solange der Kunde das nicht merkt. Inhalte und Kompetenzen werden vorgetäuscht. Weltanschaulich nennt man diese Entwicklung den »gnadenlosen Wettbewerb«, in dem jeder bestehen muss.
Damit spaltet sich die deutsche Kultur auf, und die Schere öffnet sich immer weiter. Der eine Teil nähert sich härtesten frühkapitalistischen Zuständen, der andere versucht, mit immer neuen unklaren Produkten Millionen zu scheffeln. Die Wir-Kultur der Prosperitätsjahrzehnte verschwindet zugunsten der brutalen Ich-Kultur des Dschungels und der Heuschrecken-Kultur der smarten Gewinner.
Es geht hin zu Slum & Elite.
Wie konnte das so weit kommen? Ich habe das vollständige Wörterbuch der deutschen Sprache in zehn Bänden (alle Dudenbände) in der Version des Jahres 2000 auf meinem Computer. Da gibt es das Wort intransparent noch gar nicht, auch MS Word findet es falsch geschrieben. Im neuen Duden steht es aber drin!
Ich glaube, ich weiß, warum es so weit kommen konnte. Die Wir-Kultur des treuen Deutschen wechselt den Anbieter nicht. Der Deutsche ist gerne Stammkunde. Er glaubt – das wurde mir in meiner Jugend immer und immer wieder gesagt –, dass Stammkunden mit größerem Respekt behandelt würden und die besseren Preise und höhere Qualität bekämen. »Weil Sie einer unserer besten Kunden sind, legen wir noch ein Schnäpschen drauf …« Deshalb bemühten wir uns, beste Kunden zu sein.
Die kurzfristige Heuschreckensicht des reinen Kapitalismus aber verfährt genau gegenteilig: Sie zockt den treuen Stammkunden gnadenlos ab und macht sein ungerechtfertigtes Vertrauen zu barem Geld. Sonderangebote bekommen nur die Neukunden, die man anlocken muss. Meine langjährige Hausbank zum Beispiel warb mit einer Art Begrüßungsgeld Neukunden an, ein vollkommen kostenloses Girokonto zu eröffnen. Fein, dachte ich, dann fallen die 15 Euro im Monat für Kontogebühren weg. Als das nicht passierte, rief ich an und erfuhr, dass nur Neukunden kostenlose Konten hätten! Ich musste hart werden und drohen, es gab kein Verständnis der Bank. In derselben Weise werben Telefonunternehmen mit Billigtarifen, stellen aber die Tarife der Stammkunden nicht
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