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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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für jedermann,
Sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen.«
    Astrids graublaue Augen schienen sich mit blauer Farbe gefüllt zu haben, wie der Rhein im Sommer, wenn der Himmel sich in den Wellen spiegelt, seinen blauen Überfluss mit dem Wasser teilt. Ihr Unterkiefer hing ein wenig herab, ein bisschen Speichel stand in ihren Mundwinkeln. Sie stellte das Buch zurück, zog das Taschentuch aus dem Jackenärmel, putzte sich umständlich die Nase und setzte sich auf das Sofa neben mich, so nah, dass ich unwillkürlich von ihr abrückte.
    Es klingelte. Astrid sprang auf. Zwei verschwitzte, verraufte Jungs, Astrids Brüder, kamen vom Spielen und nahmen lärmend von der Wohnung Besitz. Klar, weshalb auch Astrids Hausaufgaben nicht besser waren als ihre Antworten im Klassenzimmer. Keinen Raum für sich. Nirgends Ruhe. Nicht einmal einen Holzstall.
    Gleich würde es Abendessen geben. Eine gute Gelegenheit, mich aus dem Staub zu machen.

    Doch da ging die Tür noch einmal auf. Eine tönende Männerstimme: »Ja, wen haben wir denn da?« Getrappel, die Stimmen der Jungen. »Ruhe, Herrgottnochmal!« Die Mutter.
    »Ja, sieh mal an. Und Besuch haben wir auch!« Eine solche Stimme konnte nur aus einer breiten Brust kommen, und die breite Brust gehörte zu einem kräftig gebauten, großen Mann in Cordhose und kariertem Hemd, der seine Schirmmütze abnahm und an den Haken hängte. Dichtes, schwarzes, fast struppiges Haar, dichte, dunkle Brauen, graue, scharfblickende Augen in einem großen, grobgeschnittenen Gesicht. Astrids Vater. Er fasste meine Hand, umsichtig wie einen zerbrechlichen Gegenstand, und zeigte lächelnd eine Reihe beneidenswert ebenmäßiger Zähne. Wie jung er wirkte! Weit jünger als seine Frau, die klappernd - sogar ihr Klappern, schien mir, verbreitete Missmut - den Tisch in der Küche deckte; jünger sogar als Astrid, die sich an ihm vorbeidrückte, um der Mutter zur Hand zu gehen.
    »Du bleibst doch noch zum Abendessen, Hilla?« Astrids Vater legte mir die Hand auf die Schulter und schob mich an den Tisch. »Für einen mehr reicht es immer noch. Was habt ihr denn so getrieben den ganzen Nachmittag?«
    »Gelesen«, sagte ich. »Die Bücher bewundert. Astrid hat mir ihr Lieblingsgedicht vorgelesen.«
    »Den Himmel überlassen wir den Engeln und den Spatzen«, äffte die Mutter. »Hier, setz dich.«
    Dichtgedrängt saßen wir um den Tisch. Astrids Vater griff zu. Schüttelte mit Daumen und Zeigefinger die Schinkenscheiben auseinander, köpfte das Ei mit dem Messer, und die Jungen machten es ihm schwungvoll nach, dass die Eierschalen übers Tischtuch sprangen. Er ließ es sich schmecken. Unüberhörbar. Wischte sich den Mund mit dem Handrücken und den Handrücken am Hosenbein ab. Warum störte mich das alles nicht? Alles geschah kraftvoll, selbstverständlich, ohne Falsch. Hatte nicht Luther geschrieben: »Warum rülpset und furzet Ihr nicht / hat es Euch nicht geschmacket?« Es war nicht Unbeholfenheit. Kein Verstoß gegen Regeln. Regeln interessierten Franz
Kowalski nicht, zumindest nicht in seinen eigenen vier Wänden. Dabei redete er fast ununterbrochen, mit einer zuversichtlichen Stimme, ohne sich vom Kauen und Schlucken beeinträchtigen zu lassen. Es war nicht klar, zu wem er sprach, so gut wie hier an den Abendbrottisch hätte die Rede in eine Versammlung gepasst. Für Kowalski spielten weder Anlass noch die Zahl der Zuhörer eine Rolle. Wenn es einen Brustton der Überzeugung gibt, dann quoll der unter diesem enggespannten Karohemd hervor. Kowalski erzählte vom Tage. Vom heute gewesenen Tage. Er sang’s uns mit schlesisch rollendem R ins Ohr, was an Maschine drei schon wieder schiefgelaufen war, dass die - hier kam ein Name, den ich nicht verstand - im Lager nun auch noch ein Kind bekomme, schon die Zweite in dieser Gruppe, und Arbeitskräfte doch so knapp. Jedenfalls bei den Frauen. Über eine bevorstehende Tarifrunde ließ er sich aus - Tarifrunde, ein Wort, mit dem ich so lange herumspielte: eine Tarifrunde, Tarifdicke, Tarifdünne, Tariflange, Tarifkleine -, dass ich den Anschluss verpasste.
    Klar war: Astrid und ihre Mutter würden am nächsten Morgen mit Kowalski zur Frühschicht fahren und Flugblätter verteilen. »Acht Prozent, das muss drin sein! Die in Stuttgart machen es richtig. Mutter, darauf ein Bier!«
    Astrids Mutter, die sich gerade eine Zigarette angesteckt hatte, erhob sich, Kühlschrank auf, Kühlschrank zu, und stellte dem Mann die Flasche neben

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