Aufbruch zu den Sternen - Roman
Stocken zu geraten. In den Tagen der Postkutsche und der Segelschiffe war die Welt groß genug für den Menschen, aber seit wir sie in ein paar Stunden umfliegen können, ist sie bei weitem zu klein.«
Matthews lehnte sich zurück, um die Wirkung seiner Schocktaktik zu beobachten. Für einen Augenblick schien Sir Michael leicht benommen zu sein; er fasste sich indes sehr schnell wieder und trank den restlichen Inhalt seines Glases aus.
»Es ist ein bisschen viel auf einmal«, sagte er kläglich. »Und was soll werden, wenn es Ihnen gelingt, den Mond zu erreichen?«
»Sie müssen sich klarmachen«, sagte Matthews, das angeschlagene Thema rücksichtslos vorantreibend, »dass der Mond nur ein Anfang ist. Fünfzehn Millionen Quadratkilometer sind zwar für den Anfang nicht schlecht, aber wir betrachten sie nur als Stufe zu den Planeten. Wie Sie wissen, gibt es dort weder Luft noch Wasser, die ersten Kolonien werden also völlig abgedichtet sein müssen. Aber bei der geringen Schwere wird es ein Leichtes sein, große Bauten zu errichten, und es sind bereits Pläne für ganze Städte unter transparenten Kuppeln ausgearbeitet worden.«
»Mir scheint«, sagte Sir Michael verschmitzt, »dass Sie samt Ihren ›Goldfischgläsern‹ dorthin auswandern wollen.«
Matthews lächelte beinah.
»Ein guter Witz«, räumte er ein, »aber wahrscheinlich wird der Mond nur Astronomen und Physikern als Aufenthaltsort für wissenschaftliche Forschungsarbeit dienen. Für sie ist das von außerordentlicher Bedeutung; ganz neue Wissensgebiete werden sich ihnen erschließen, wenn sie dort oben erst Laboratorien und Sternwarten errichten können.«
»Und wird die Welt besser oder glücklicher dadurch werden?«
»Das hängt, wie immer, von den Menschen insgesamt ab. Wissen ist etwas Neutrales, aber man muss es besitzen, ob man Gutes oder Böses tut.«
Matthews deutete mit einer weit ausholenden Armbewegung auf den gewaltigen Strom, der langsam zwischen seinem von Leben und Verkehr wimmelnden Ufer dahinzog.
»Alles, was Sie hier sehen können, unsere ganze moderne Welt ist überhaupt nur möglich auf Grund des Wissens, das sich die Menschen in früheren Zeiten erworben haben. Und die Zivilisation ist nichts Statisches; sobald sie zum Stillstand gelangt, beginnt sie zu sterben.«
Für eine Weile herrschte Schweigen. Dirk war, fast wider Willen, tief beeindruckt. Er hatte in Matthews immer nur einen tüchtigen Verkäufer gesehen, der mit den Idealen anderer hausierte, aber das stimmte wohl nicht. Oder war er wirklich nur ein begabter Virtuose, der ein Musikstück mit vollendeter Technik, aber ohne wirkliche Empfindung spielte? Er war sich dessen nicht gewiss. Selbst am Ende ihrer Bekanntschaft war es ihm noch zweifelhaft. Hinter seinem nach außen gerichteten Wesen verbargen sich Tiefen, die Dirk niemals würde ausloten können. In dieser, wenn auch in keiner anderen Hinsicht entsprach Matthews dem Bilde, das man sich von jenem Fabelwesen, dem typischen Engländer, macht.
»Ich habe eine ganze Reihe von Briefen bekommen«, sagte Sir Michael. »Die meisten von irischen Freunden, denen das Ganze überhaupt nicht gefällt und die der Meinung sind, es läge nicht in der Bestimmung des Menschen, die Erde zu verlassen. Was soll ich ihnen darauf erwidern?«
»Erinnern Sie sie an den Ablauf der Geschichte«, entgegnete Matthews. »Sagen Sie ihnen, dass wir Forscher sind und dass selbst Irland einmal von irgendjemandem entdeckt werden musste!« Er streifte Dirk mit einem Seitenblick, als wollte er sagen: »Jetzt geb' ich's ihm!«
»Stellen Sie sich vor, wir lebten vor fünf Jahrhunderten, Sir Michael, und mein Name wäre Christoph Kolumbus. Sie möchten gern wissen, warum ich so begierig darauf bin, in westlicher Richtung über den Atlantik zu segeln, und ich habe Ihnen meine Gründe dafür dargelegt. Ich weiß nicht, ob ich Sie überzeugt habe; Sie sind vielleicht nicht besonders an der Eröffnung einer neuen Route nach Indien interessiert. Aber der entscheidende Punkt ist dies – keiner von uns beiden ist imstande, die ganze Tragweite dieser Fahrt für die Welt zu ermessen. Sagen Sie Ihren Freunden, Sir Michael, sie möchten daran denken, was für ein Unterschied es für Irland gemacht haben würde, wenn Amerika nie entdeckt worden wäre. Der Mond ist größer als Nord- und Südamerika zusammen – und er ist nur die erste und kleinste Welt, die wir erreichen werden.«
*
Die große Empfangshalle war fast leer, als sie sich von Sir
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