Aufbruch zu den Sternen - Roman
den großen Raum schweifen. Für sein Alter schien er außerordentlich gut erhalten zu sein, und man musste unwillkürlich an all die historischen Szenen denken, die dieser Saal durch die Jahrhunderte miterlebt hatte, zurück bis …
»Sieht ganz ordentlich aus, nicht?«, flüsterte Matthews. »Dabei ist es ein Neubau und erst 1950 fertig geworden.«
Dirk kehrte mit einem Ruck in die Wirklichkeit zurück.
»Mein Gott! Ich dachte, er wäre jahrhundertealt!«
»Ach wo; der alte Plenarsaal wurde durch Hitlers Bomber zerstört.«
Dirk ärgerte sich ein wenig über sich selber, dass er das vergessen hatte und wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Debatte zu. Auf der Regierungsseite waren jetzt etwa fünfzehn Abgeordnete anwesend, während die Konservativen und die Arbeiterpartei auf den Oppositionsbänken nur ein knappes Dutzend für sich buchen konnten.
Die getäfelte Tür, an welcher sie saßen, öffnete sich plötzlich, und ein lächelndes Rundgesicht strahlte sie an. Matthews sprang auf, als ihr Gastgeber sie unter vielen Entschuldigungen begrüßte. Draußen auf dem Gang, wo man wieder mit normaler Lautstärke sprechen konnte, stellte man sich gegenseitig vor, und dann folgten sie Sir Michael über noch mehr Gänge in das Restaurant. Dirk kam zu der Überzeugung, dass er so viele Meter Holztäfelung sein Lebtag nicht gesehen habe.
Der alte Baronet musste weit über siebzig sein, aber sein Schritt war immer noch elastisch und seine Gesichtsfarbe geradezu rosig. Mit seiner runden Glatze sah er einem mittelalterlichen Abt so zum Verwechseln ähnlich, dass es Dirk vorkam, als befände er sich in Glastonbury oder Wells kurz vor der Auflösung der Klöster. Doch wenn er die Augen schloss, so versetzte ihn Sir Michaels Aussprache sofort mitten nach New York. Als er diesen Dialekt zum letzten Mal gehört hatte, hatte der Mann, der ihn sprach, ihm ein Strafmandat wegen Überfahrens eines Haltesignals in die Hand gedrückt.
Man nahm zum Tee Platz, und als Dirk gefragt wurde, ob er lieber Kaffee haben möchte, lehnte er vorsichtshalber ab. Während der Mahlzeit sprach man über Belanglosigkeiten und vermied den eigentlichen Gegenstand des Treffens. Erst als man sich auf die ausgedehnte Terrasse längs der Themse hinausbegeben hatte, den Fluss überblickte, der so viel mehr Leben und Aktivität atmete als der Debattiersaal, kam man zum Thema. Kleine Gruppen von Leuten standen oder saßen, in lebhafter Unterhaltung begriffen, umher, und es herrschte ein ununterbrochenes Kommen und Gehen von Boten. Mitunter geschah es, dass die Abgeordneten en masse aufstanden, sich bei ihren Gästen entschuldigten und davoneilten, um an einer Abstimmung teilzunehmen. Während einer dieser Pausen gab sich Matthews alle Mühe, Dirk die parlamentarische Verfahrensweise zu erklären.
»Sie müssen sich vor Augen halten«, sagte er, »dass die Hauptarbeit in den Ausschüssen gemacht wird. Außer bei wichtigen Debatten sind nur die Experten oder besonders interessierte Abgeordnete im Saal anwesend. Die anderen arbeiten Berichte aus, oder sitzen in ihren kleinen, über das ganze Gebäude verstreuten Löchern und empfangen Leute aus ihren Wahlkreisen.«
»Also, nun mal los, Jungens«, sagte Sir Michael in dröhnendem Bass, als er mit einem Tablett und einigen gefüllten Gläsern zurückkam, »erzählt mir etwas von eurem Vorhaben, nach dem Mond zu fliegen.«
Matthews räusperte sich, und Dirk sah ihn in Gedanken förmlich nach der besten Einleitung suchen.
»Die Sache ist so«, begann er, »dass es die einzig folgerichtige Weiterführung alles dessen ist, was die Menschheit seit Beginn der Geschichte getan hat. Für Tausende von Jahren hat sich die menschliche Rasse über die Welt ausgebreitet, bis der gesamte Erdball erforscht und kolonisiert war. Jetzt ist es Zeit, den nächsten Schritt über den Raum hinweg nach anderen Planeten zu machen. Die Menschheit braucht immer neue Grenzen, neue Horizonte. Sonst tritt früher oder später Stillstand ein – Verfall. Der interplanetarische Verkehr ist das nächste Stadium in unserer Entwicklung, und wenn wir klug sind, nehmen wir die Sache von selbst in die Hand, ehe sie uns durch Rohstoffmangel und Schrumpfung des Lebensraumes aufgezwungen wird. Es gibt auch psychologische Gründe für den interplanetarischen Flugverkehr. Vor vielen Jahren hat einmal jemand unsere kleine Erde mit einem Goldfischglas verglichen und gesagt, der menschliche Geist könnte nicht für immer darin herumkreisen, ohne ins
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