Auferstehung
grübelte Dragosani. »Mich überrascht, dass er sie gehen ließ. Ich meine, sie muss einen Verdacht gehegt haben. Sie sagten selbst, dass ihr die Arbeit nicht mehr ›gefallen‹ hatte, dass sie ein ungutes Gefühl beschlich, bis sie es nicht mehr aushielt. Hatte er nicht Angst, dass sie über ihn redet?«
»Ah!«, rief Giresci aus. »Sie haben etwas vergessen, Dragosani. Was ist mit der Art, wie er mich kontrollierte, mit seinen Augen und seinem Geist, in jener Bombennacht, der Nacht, in der er starb?«
»Hypnose«, antwortete Dragosani, ohne zu zögern.
Giresci lächelte grimmig und nickte. »Die Kunst eines Vampirs, eine von vielen. Er befahl ihr einfach zu schweigen, solange sie lebte. Solange sie lebte, würde sie einfach alles über ihn vergessen; vergessen, dass sie je etwas Unheimliches in ihm gesehen hatte.«
»Ich verstehe«, sagte Dragosani.
»Seine Macht war so stark«, fuhr der andere fort, »dass sie tatsächlich vergaß – bis ich sie Jahre später danach fragte. Denn da war Ferenczy natürlich schon tot.«
Girescis Art begann, Dragosani zu ärgern. Sein Hauch von Selbstzufriedenheit, seine Blasiertheit, die hohe Meinung, die er offensichtlich von seinen eigenen detektivischen Fähigkeiten hatte. »Natürlich sind das alles bloß Vermutungen«, sagte der Nekromant schließlich. »Sie wissen nichts von alledem mit Gewissheit.«
»Aber sicher«, antwortete Giresci sofort. »Ich weiß es von der Witwe selbst. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich behaupte nicht, dass es einfach so aus ihr heraussprudelte. Es war nicht so, dass wir eine lustige Klatschrunde veranstaltet haben. Weit gefehlt. Nein, ich musste wirklich auf sie eingehen und sie über alles ausfragen, immer wieder, bis ich alles ausgegraben hatte. Er war zwar tot und seine Macht vergangen, sicher, aber etwas davon war noch zu spüren, verstehen Sie?«
Dragosani wurde nachdenklich. Seine Augen verengten sich ein wenig. Plötzlich, aus heiterem Himmel, fühlte er sich von diesem Mann bedroht. Er war viel zu schlau, dieser Ladislau Giresci. Dragosani hegte eine Abneigung gegen ihn, und fragte sich, warum. Es war zu eng hier drin, geradezu klaustrophobisch. Das musste es sein. Er schüttelte den Kopf, richtete sich auf, versuchte, sich zu konzentrieren. »Natürlich ist diese Witwe schon lange tot.«
»Oh ja, seit Jahren.«
»Also sind Sie und ich die Einzigen, die irgendetwas über Faethor Ferenczy wissen?«
Giresci starrte den jüngeren Mann an. Dragosanis Stimme war zu wenig mehr als einem Knurren abgesunken, fast schon drohend. Etwas schien nicht mit ihm zu stimmen. Unter Girescis fragendem Blick schüttelte er sich noch einmal und blinzelte schnell.
»Richtig«, antwortete Giresci finster. »Ich habe es niemandem erzählt ... Es hätte ja auch keinen Sinn, wer würde es glauben? Sind Sie in Ordnung, mein Freund? Fühlen Sie sich gut? Beunruhigt Sie etwas?«
»Mich?« Dragosani beugte sich wieder vor, als ob ihn etwas zu Giresci hinzöge. »Nein, natürlich nicht. Ich bin ein bisschen schläfrig, das ist alles. Das gute Essen, vermute ich. Ich bin in den letzten Tagen auch eine lange Strecke gefahren. Das wird es sein; ich bin müde. Machen Sie nur weiter, Giresci. Erzählen Sie. Über Ferenczy und seine Vorfahren. Über die Wamphyri. Erzählen Sie mir alles.«
»Alles? Das könnte eine Woche dauern und länger!«
»Ich habe eine Woche Zeit«, entgegnete Dragosani.
»Verdammt, ich hätte fast geglaubt, Sie meinen es ernst!«
»Das tue ich auch.«
»Zweifellos sind Sie ein anständiger Bursche, und es ist gut, mit jemandem zu sprechen, der wirklich interessiert ist. Aber wie kommen Sie auf die Idee, dass ich eine ganze Woche mit Ihnen verbringen will? In meinem Alter ist Zeit ein kostbares Gut. Oder glauben Sie, dass ich genauso langlebig bin wie Ferenczy?«
Dragosani lächelte nur dünn. Fast hätte er gesagt: Sie können mit mir hier oder in Moskau sprechen, aber er beherrschte sich gerade noch. Das war nicht notwendig. Jedenfalls noch nicht. Und es könnte Borowitz sein großes Geheimnis verraten: Wie er überhaupt erst Nekromant geworden war. »Wie steht’s dann mit den nächsten ein, zwei Stunden?«, versuchte er es versöhnlicher. »Da Sie es angesprochen haben, können wir ja mit Ferenczys Langlebigkeit anfangen.«
Giresci gluckste. »Das ist fair. Es ist ja auch noch Whisky übrig!« Er goss sich noch einmal ein, machte es sich bequem und dachte kurz nach, ehe er fortfuhr: »Ferenczys Langlebigkeit. Die
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