Auferstehung
Blatt der silbernen Säge brach ab, er warf sie zu Boden. Er heulte wie ein Tier und bewegte sich wie ein Wahnsinniger, als er den Kopf hob und sich suchend im Raum umschaute. Seine Augen ruhten kurz auf einem Metallstuhl und weiteten sich in einer Eingebung. Einen Augenblick später hatte er den Stuhl ergriffen und benutzte zwei der Beine als Hebel in dem frisch aufgeschnittenen Kanal.
Knochen krachten und Fleisch zeriss, als die linke Brusthälfte des Leichnams sich hob, nach hinten gedrückt wurde und eine Falltür im Oberkörper bildete. Die Hände des Nackten fuhren hinab. Ein schrecklicher Ruck, und sie kamen wieder hervor und hielten die Beute hoch. Doch nur für einen Augenblick, dann –
Die Hände mit dem Herz weit von sich gestreckt, tanzte der nackte Mann durch den Raum, wirbelte immer wieder im Kreis herum. Er umarmte es, hielt es an seine Augen und Ohren. Er drückte es an die eigene Brust, liebkoste es, seufzte wie ein Kleinkind. Er ächzte vor Erleichterung, und heiße Tränen strömten über seine grauen Wangen. Und im nächsten Moment schien ihn alle Kraft schon wieder verlassen zu haben.
Seine Beine zitterten. Mit dem Herz in seinen Armen fiel er zu Boden und kauerte sich fast wie ein Fötus zusammen. Das Herz wurde von seinem Körper verborgen. Er blieb still liegen.
»Geschafft«, sagte Borowitz, »vielleicht!«
Er stand auf, ging zum Lautsprecher und drückte einen zweiten Knopf, auf dem ›Sprechanlage‹ stand. Doch bevor er sprach, warf er aus den Augenwinkeln einen Blick auf seine Untergebenen. Der eine hatte sich nicht aus seiner Ecke gerührt, wo er mit hängendem Kopf und dem Eimer zwischen den Beinen saß. In einer anderen Ecke beugte der zweite Mann sich vor und zurück, mit den Händen auf den Hüften. Er atmete aus, wenn er sich vorbeugte, und atmete ein, wenn er sich wieder aufrichtete. Die Gesichter der beiden Männer waren schweißnass.
»Ha!«, grunzte Borowitz und wandte sich dann dem Lautsprecher zu: »Boris? Boris Dragosani? Können Sie mich hören? Ist alles in Ordnung?«
Im Nebenraum rührte sich der Mann auf dem Boden, streckte sich, hob den Kopf und sah sich um. Dann schauderte er und stand rasch auf. Er glich jetzt wieder eher einem Menschen als einem abartigen Roboter, auch wenn er noch immer grau wie Blei war. Seine nackten Füße glitten auf dem schleimigen Boden aus, sodass er leicht taumelte, doch er hatte sein Gleichgewicht schnell wieder gefunden. Dann blickte er auf das Herz in seinen Händen, schauderte ein zweites Mal, schleuderte es weg und wischte die Hände an den Schenkeln ab.
Borowitz dachte, dass er aussähe wie jemand, der gerade aus dem Getümmel eines Albtraumes erwacht war – aber er durfte nicht zu rasch erwachen. Es gab etwas, das Borowitz wissen musste. Und er musste es jetzt wissen, solange Dragosani sich noch daran erinnern konnte.
»Dragosani«, fragte er wieder mit möglichst sanfter Stimme, »können Sie mich hören?«
Als Borowitz’ Gefährten sich endlich wieder gefangen hatten und sich zu ihm an die Glaswand stellten, blickte der Nackte in ihre Richtung. Zum ersten Mal bemerkte Boris Dragosani den Wandschirm, der auf seiner Seite lediglich aus einem Milchglasspiegel aus vielen kleinen Scheiben bestand. Er blickte sie geradewegs an, als könnte er sie tatsächlich sehen, so wie ein Blinder manchmal schaut, und antwortete: »Ja, ich höre Sie, Genosse General. Und Sie hatten Recht: Er hatte geplant, Sie zu ermorden.«
»Ha! Gut!« Borowitz ballte eine fleischige Faust und hieb damit in die Fläche seiner Linken. »Wie viele haben mit ihm zusammengearbeitet?«
Dragosani sah erschöpft aus. Die graue Farbe wich von ihm, und Hände, Beine und Unterkörper hatten bereits wieder annähernd Hautfarbe angenommen. Nun, da er wieder bei sich war, schien er kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen. Es bedurfte nur einer kleinen Anstrengung, den Metallstuhl wieder aufzurichten und sich hinzusetzen, doch das schien seinen letzten Kraftvorrat aufzubrauchen. Er stützte die Ellbogen auf die Knie, legte den Kopf in die Hände und starrte auf den Boden zwischen seinen Füßen.
»Also?«, fragte Borowitz durch die Sprechanlage.
»Ein Einziger«, antwortete Dragosani endlich, ohne aufzusehen. »Jemand, der Ihnen nahesteht. Ich konnte seinen Namen nicht erkennen.«
Borowitz war enttäuscht. »Ist das alles?«
»Ja, Genosse General.« Dragosani hob den Kopf und sah wieder zur Trennwand. In seinen wasserblauen Augen lag etwas fast Flehentliches. Mit
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