Auferstehung
richtig hinzusehen, in der Höhlung des Meißels. Das Röhrchen sank langsam herab, bis nur noch das Mundstück hervorstand.
»Ein Mundstück!«, krächzte Andrej plötzlich und wandte sich ab, um blind durch den Raum zu taumeln. »Mein Gott, mein Gott – ein Mundstück! «
Borowitz schloss die Augen. So stark er auch war, er konnte nicht hinsehen. Er hatte das schon einmal beobachtet und erinnerte sich nur zu gut daran.
Augenblicke verstrichen. Michail zitterte in seiner Ecke, Andrej stand am anderen Ende des Raumes und wandte der Glaswand den Rücken zu, und ihr Vorgesetzter schloss die Augen fest und quetschte sich in den Sessel. Dann –
Der Schrei, der aus dem Lautsprecher drang, hätte die stärksten Nerven zerrüttet, vielleicht sogar die Toten geweckt. Er war erfüllt von Schrecken, von ungeheuerlichem Wissen, von – Zorn? Ja, Zorn – der Schrei eines verletzten Menschenfressers, eines rachsüchtigen Tieres. Und kurz danach brach das Chaos aus!
Als der Schrei verklang, riss Borowitz die Augen auf, und die wulstigen Brauen bildeten ein Spitzdach über ihnen. Für einen Moment glich er einer verwirrten Eule, mit flatternden Nerven und Fingern, die sich in die Lehnen des Sessels eingruben. Dann stieß er einen rauen Schrei aus, hob einen Arm vors Gesicht und warf seinen schweren Körper nach hinten. Der Sessel fiel um. Borowitz rollte sich nach links und nutzte ihn als Deckung, als sich ein Regen aus Glas und kleinen Streifen aus Blei in den Raum ergoss. Ein großes Loch gähnte nun in der Mitte der Trennwand und die Beine des Metallstuhls ragten zur Hälfte hindurch. Der Stuhl wurde herausgerissen und erneut durch die Luft geschleudert, um den Rest der Scheibe zu zerschlagen. Wieder flogen Glassplitter durch den Raum.
»Schwein!« Dragosanis Schrei drang sowohl aus dem Lautsprecher als auch durch die zerschmetterte Scheibe. »Borowitz, du Schwein! Du hast ihn vergiftet, um sein Hirn verrotten zu lassen – und jetzt habe ich das gleiche Gift getrunken, du Hurensohn! «
Dieser zornigen, hasserfüllten Stimme folgte der Körper von Dragosani selbst. Er stand einen Moment von gläsernen Zacken umrahmt da, bevor er über den Tisch und die umgeworfenen Stühle sprang und vor Borowitz stehen blieb, der auf dem Boden kroch. In seiner Hand glitzerte etwas, das sich silbrig vom Grau seines Fleisches abhob.
»Nein!«, brüllte Borowitz, und seine tiefe Stimme erfüllte den kleinen Raum mit Schrecken. »Nein, Boris, Sie täuschen sich. Sie sind nicht vergiftet, Mann!«
» Lügner! Ich habe es in seinem toten Hirn gelesen. Ich konnte die Qualen fühlen, unter denen er starb. Und nun ist das Zeug in mir!«
Dragosani beugte sich vor, um Borowitz niederzudrücken, der darum kämpfte, wieder auf die Beine zu kommen. Er holte mit der silbernen Sichel in seiner Faust aus.
Michail hatte im Hintergrund wie eine Vogelscheuche im Wind gezittert. Doch nun stürzte er vor und griff mit der Hand in seinen Mantel. Er schnappte sich Dragosanis Handgelenk, als es gerade herabstoßen wollte. Michail war ein Fachmann im Umgang mit dem Knüppel und wendete ihn genau an der richtigen Stelle an, gerade fest genug, um Boris bewusstlos zu schlagen.
Der schimmernde Stahl fiel aus Dragosanis gefühllosen Fingern, und er sank mit dem Gesicht nach unten auf Borowitz, der sich noch halbwegs zur Seite wälzen konnte.
Dann half Michail dem älteren Mann auf, während Borowitz fluchte und ein- oder zweimal nach dem nackten Mann trat, der stöhnend auf dem Boden lag. Als er wieder auf den Beinen war, stieß er seinen Untergebenen von sich und begann, seine Kleidung zu richten – doch dann sah er den Knüppel in Michails Hand und begriff, was geschehen war. Seine Augen weiteten sich vor Bestürzung und Angst.
»Was?«, fragte er mit weit offenem Mund. »Sie haben ihn niedergeschlagen? Sie haben das gegen ihn eingesetzt? Narr!«
»Aber Genosse Borowitz, General, er ...«
Borowitz schnitt ihm knurrend das Wort ab und stieß ihn mit beiden Händen von sich. »Tölpel! Idiot! Beten Sie, dass er unverletzt ist. Wenn es einen Gott gibt, an den Sie glauben, dann beten Sie, dass Sie diesem Mann keinen dauerhaften Schaden zugefügt haben. Habe ich Ihnen nicht gesagt, dass er einzigartig ist?« Er ging in die Knie und grunzte, als er den ohnmächtigen Mann auf den Rücken drehte. Die Farbe kehrte in Dragosanis Gesicht zurück, die normale Farbe eines Menschen, doch an seinem Hinterkopf wuchs eine gewaltige Beule. Seine Lider flatterten, als
Weitere Kostenlose Bücher