Auferstehung
ausgesagt, ob Brendas Tod ein Ergebnis dessen war, was Harry noch tun musste. Er hatte sie wirklich geschwängert, und die Geburt stand bevor; aber wie konnte die Richtung, die er jetzt einschlug, das physische Ereignis der Geburt beeinflussen? Eine nörgelnde Stimme in seinem Hinterkopf sagte, dass es möglich sei.
Alles war sehr verwirrend und abstrus, und sein Versuch, sich irgendwie durchzuwurschteln, ermüdete ihn mehr als je zuvor. Als er zu Ende geredet hatte, war er froh, sich zurücklehnen und sie darüber nachdenken lassen zu können.
Seltsamerweise akzeptierte sie alles, was er gesagt hatte, fast als Tatsache – mit sichtlicher Erleichterung – und erklärte sogleich, warum: »Harry, ich weiß, ich bin nicht so schlau wie du, aber blöd bin ich auch nicht. Ich wusste, dass irgendwas im Busch war, seitdem du mir diese Geschichte erzählt hast, über den Necroscope. Ich habe irgendwie gespürt, dass du noch nicht fertig warst, dass du noch mehr sagen wolltest, aber Angst hattest. In Harden ist es auch mehrere Male passiert, dass Mr Hannant mich aufgehalten und nach dir befragt hat. Aus der Art, wie er sprach, schloss ich, dass auch er etwas Seltsames an dir wahrnahm ...«
»Hannant?«, runzelte er misstrauisch die Stirn. »Was hat er ...?«
»Ach, nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste. Eigentlich glaube ich, dass er ziemliche Angst vor dir hat. Harry, ich habe mir angehört, wie du im Schlaf mit deiner armen, toten Mutter gesprochen hast, und ich wusste, dass es echte Unterhaltungen waren! Da waren auch noch viele andere Dinge. Deine Schriftstellerei zum Beispiel. Ich meine, wie wurdest du plötzlich zu einem brillanten Autor? Ich habe deine Geschichten gelesen, Harry, und das bist nicht du. Die Geschichten sind wunderbar, aber du bist einfach nicht so wunderbar! Nicht dein wahres Ich. Dein wahres Ich ist gewöhnlich, Harry. Ich liebe dich, aber ich bin kein Idiot. Und dein Schwimmen, dein Eislaufen, dein Judo? Hast du geglaubt, ich würde dich für einen Supermann halten? Da ist es schon einfacher zu glauben, dass du ein Necroscope bist! Es ist eine Erleichterung, die Wahrheit zu erfahren, Harry. Ich bin froh, dass du es mir endlich erzählt hast.«
Schließlich sagte Harry: »Aber ich habe dir nicht alles erzählt, Liebes.«
»Ach, ich weiß. Natürlich nicht. Wenn du für dein Land arbeiten wirst, gibt es natürlich Sachen, die du geheim halten musst – sogar vor mir. Ich verstehe das, Harry.«
Es war, als ob jemand ein großes Gewicht von seiner Brust genommen hätte.
Brenda beugte sich über ihn und küsste seine Stirn. »Keine Sorge, ich werde dich nichts mehr fragen.«
Harry schlief bis zum Abend durch, stand dann auf und aß etwas. Um etwa acht Uhr machten sie eine Stunde lang einen Spaziergang an der frischen Nachtluft, bis es Brenda zu kalt wurde. Dann eilten sie nach Hause, duschten heiß und liebten sich; hinterher schliefen beide die Nacht durch.
Sir Keenan Gormley war in Gedanken verloren, als er das ESP-Hauptquartier verließ, mit dem Lift in die winzige Eingangshalle hinunterfuhr und in die kalte Londoner Nacht hinaustrat. Verschiedene Dinge bereiteten ihm Sorgen, nicht zuletzt Harry Keogh. Keogh hatte keinen Kontakt mit ihm aufgenommen, und mit jedem Tag, der verstrich, fühlte Gormley immer stärker die Zeit wie Bleigewichte auf sich ruhen. Es war kurz nach neun Uhr, als er in Richtung U-Bahn-Station Westminster lief – und 225 Meilen entfernt liebten sich ebendieser Keogh und dessen Frau, bevor sie sich zur Nachtruhe begaben.
Gormleys Sorgen hatten noch zwei andere Ursachen. Eine davon war die Art, mit der sich sein Stellvertreter immer wieder nach seiner Gesundheit erkundigte. Dies wäre einfach nur lästig gewesen, wenn sein Stellvertreter nicht Alec Kyle wäre – ein Mann, dessen keineswegs zu vernachlässigendes Talent darin lag, die Zukunft vorauszusehen! Kyles Besorgnis um seinen Chef während der letzten acht oder zehn Tage war ziemlich offensichtlich gewesen, ganz egal wie sehr er sich bemühte, es zu verbergen. Falls es irgendetwas Bestimmtes gab, würde Kyle es ihm erzählen, das wusste Gormley. Deswegen hatte er ihn auch nicht unter Druck gesetzt, aber trotzdem war die Angelegenheit besorgniserregend.
Und dann war da auch noch die andere Sache. Während der letzten sechs oder sieben Wochen hatte es wenigstens ein Dutzend verschiedene Momente gegeben, in denen Gormley die Anwesenheit von ESPern gespürt, sie in seinem Bewusstsein ›erkannt‹ hatte. Er
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