Auferstehung
Altersunterschieds sehr glücklich in einem großen Haus auf einem Privatgrundstück unweit Bonnyriggs. Jedoch wurde zu dieser Zeit Marys Mutter sehr krank; ihre Ärzte hatten Krebs festgestellt. So lebte Mary die halbe Zeit in Bonnyrigg und den Rest im Haus an der Küste von Edinburgh, wo sie sich um ihre Mutter kümmerte.
Harry Keogh wurde also als Harry Snaith geboren, neun Monate nach dem Tod seiner Großmutter im Jahre 1957 – und nur ein Jahr vor dem Tod seines Vaters, eines Bankiers, der in seinem Büro einem Schlaganfall erlag.
Mary Keogh war ein starkes Mädchen und noch sehr jung. Sie hatte das alte Familienhaus am Meer bereits verkauft und war Alleinerbin des nicht unbeträchtlichen Vermögens ihres Gatten. Da sie eine Weile aus Edinburgh fort wollte, kam sie im Frühjahr 1959 nach Harden und mietete ein Haus bis Ende Juli. Sie brachte viel Zeit damit zu, sich mit ihrem Bruder zu versöhnen und seine neue Frau kennenzulernen. Während dieser Zeit bekam sie mit, wie sein Geschäft starke Einbußen erlitt, und half ihm mit ausreichend Bargeld über die Runden.
Damals verspürte Michael auch eine Aura der Trauer oder Hoffnungslosigkeit um seine Schwester. Als er sie fragte, was sie bedrücke (abgesehen natürlich vom Tod ihres Gatten, der noch immer schwer auf ihr lastete), erinnerte sie ihn an den ›sechsten Sinn‹ ihrer Mutter, ihre Empfänglichkeit für Übersinnliches. Sie glaubte, etwas davon geerbt zu haben, und diese Eingebung ›sagte‹ ihr, dass sie nicht lange leben werde. Das machte ihr keine Sorgen – wenn es so sein sollte, dann sollte es eben sein –, aber sie sorgte sich um den kleinen Harry. Was würde aus ihm werden, wenn ihr etwas zustieß, solange er noch ein Kind war?
Es war unwahrscheinlich, dass Michael Keogh und seine Frau Jenny je eigene Kinder haben würden. Sie hatten das beide vor der Hochzeit gewusst, waren sich aber einig darin, dieser Angelegenheit keine allzu große Bedeutung beizumessen; ihre Gefühle zueinander kamen an erster Stelle. Später, wenn ihr kleines Geschäft gut liefe, wäre noch Zeit genug, über eine Adoption nachzudenken. Unter diesen Umständen allerdings, und falls Mary etwas zustoßen sollte – eine Prophezeiung, der ihr Bruder im Gegensatz zu Mary wenig Glauben schenkte –, dann müsste sie sich um ihren Sohn keine Gedanken machen. Natürlich würden ihr Bruder und seine Frau den kleinen Harry wie ihr eigenes Kind großziehen. Dieses Versprechen war in erster Linie zu Marys Beruhigung gedacht.
Als Harry zwei Jahre alt war, lernte seine Mutter einen Mann kennen, der nur zwei oder drei Jahre älter als sie war, und verfiel ihm sofort. Sein Name war Viktor Shukshin, vermutlich ein Dissident, der auf der Suche nach politischer Freiheit in den Westen geflohen war, ebenso wie Mary Keoghs Mutter im Jahre 1920. Vielleicht lag Marys Faszination für Shukshin in dieser Verbindung mit Russland begründet, jedenfalls heiratete sie ihn Ende des Jahres 1960, und sie lebten im Haus in der Nähe von Bonnyrigg. Harrys neuer Stiefvater war Linguist und hatte in den letzten zwei Jahren in Edinburgh Privatunterricht in Russisch und Deutsch erteilt; doch nun, da alle finanziellen Probleme ausgeräumt waren, gaben seine Frau und er sich einem Leben des Müßiggangs und der persönlichen Interessen hin. Auch er war sehr am Übernatürlichen interessiert und bestärkte seine Frau in ihrem Glauben an ihre hellseherische Veranlagung.
Michael Keogh hatte Shukshin bei der Heirat seiner Schwester kennengelernt und kurz bei einer Rundreise durch Schottland getroffen, ihn danach aber erst bei der gerichtlichen Untersuchung wieder gesehen. Denn im Winter 1963 starb Mary Keogh, wie sie es vorhergesagt hatte, im Alter von nur zweiunddreißig Jahren. Von Shukshin wusste Hannant nur, dass die Keoghs den Mann nicht gemocht hatten. Es sei etwas an ihm gewesen, was sie befremdet habe; vermutlich das Gleiche, was Michaels Schwester so angezogen hatte.
Was Marys Tod betrifft: Sie war für ihr Leben gern Schlittschuh gelaufen. Ein Fluss in Sichtweite ihres Hauses bei Bonnyrigg war ihr zum Verhängnis geworden, als sie offenbar durch die dünne Eisschicht gebrochen und abgetrieben worden war. Viktor war bei ihr gewesen, war jedoch nicht in der Lage gewesen, etwas zu tun. Außer sich vor Schreck hatte er nach Hilfe gesucht, aber ...
Zur Zeit des Unfalls war der Fluss unter dem Eis reißend gewesen. Am Unterlauf gab es viele Seitenarme, wo Marys Leiche bis zum Einsetzen des Tauwetters
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