Auferstehung
einmal ›entdeckt‹, wie es so schön heißt. Nein, denn es ist eine Konstante wie etwa Pi. Es war schon immer da. Aber erst Keogh hat uns diese Existenz gezeigt!« Er zuckte ratlos mit den Schultern. »Wie soll ich erklären, was ich meine?«
»Ich verstehe Sie schon«, sagte Hannant. »Sie müssen nichts mehr erklären. Das ist genau das, was ich Jamieson gesagt habe: Keogh sieht den Wald trotz der Bäume! Aber eine Formel ...?« Und plötzlich tauchte etwas in seinem Hinterkopf auf: Formeln? Ich könnte Ihnen Formeln geben, die Sie sich nicht einmal im Traum vorstellen können ...
»... aber das hier ist eine!«, beharrte Harmon und unterbrach Hannants abschweifende Gedanken. »Für eine ganz spezifische Aufgabe natürlich, aber trotzdem eine Formel. Und ich stelle mir die Frage, was sollen wir mit ihm anfangen? Stecken da noch weitere grundlegende Prinzipien in ihm – Prinzipien, auf die wir einfach noch nicht gestoßen sind –, die nur darauf warten, enthüllt zu werden? Das ist der Grund, warum ich ihn hier an der Technischen haben will. Damit ich das herausfinden kann.«
»Ich bin wirklich froh, dass Sie ihn nehmen«, sagte Hannant nach einer Weile. Er stand kurz davor, sein Unbehagen Keogh betreffend zu erwähnen, überlegte es sich dann aber anders und log hemmungslos: »Ich ... glaube nicht, dass er in Harden sein Potenzial voll ausschöpfen kann.«
»Ja, das verstehe ich«, antwortete Harmon stirnrunzelnd. Und dann fügte er etwas ungeduldig hinzu: »Aber das haben wir natürlich schon klargestellt. Sie können sich jedenfalls sicher sein, dass ich mein Äußerstes tun werde, um hier seinem Potenzial gerecht zu werden. Aber erzählen Sie mir nun von dem Jungen selbst. Was wissen Sie über seinen Hintergrund?«
Auf dem Weg zurück nach Harden, hinter dem Lenkrad seines ’67er Ford Cortina, dachte Hannant über das nach, was er Harmon über Herkunft und Erziehung des Jungen erzählt hatte. Das meiste davon hatte er von Keoghs Onkel und Tante erfahren, bei denen er in Harden wohnte. Sein Onkel hatte einen Lebensmittelladen an der Hauptstraße; seine Tante war Hausfrau, half aber zwei oder drei Tage die Woche im Laden aus.
Keoghs Großvater war ein Ire gewesen, der nach dem Krieg 1918 von Dublin nach Schottland gezogen war, um in Glasgow als Baumeister zu arbeiten. Harrys Großmutter war eine russische Dame guter Herkunft, die 1920 vor der Revolution geflohen war und sich in Edinburgh in einem Haus in der Nähe des Meeres niedergelassen hatte. Dort hatte Sean Keogh sie kennengelernt, und seit 1926 waren sie miteinander verheiratet. Drei Jahre später kam Harrys Onkel Michael zur Welt, und 1931 folgte seine Mutter Mary. Sean Keogh war seinem Sohn ein strenger Vater gewesen und wollte Michael gegen seinen Willen ins Baugeschäft bringen, deshalb ließ er ihn von seinem vierzehnten Lebensjahr an hart arbeiten. In seine Tochter hingegen war er vernarrt, und nichts war je gut genug für sie. Das hatte einigen Neid zwischen Bruder und Schwester zur Folge, und schließlich lief Michael im Alter von neunzehn in Richtung Süden davon, um ein eigenes Geschäft aufzubauen. Michael war der Onkel, bei dem Harry nun lebte.
Als Mary Keogh einundzwanzig wurde, war die Zuneigung ihres Vaters einer wilden Besessenheit gewichen, die sie völlig vom gesellschaftlichen Leben abschnitt. Sie blieb meistens daheim und half bei der Hausarbeit oder ging ihrer russischen Aristokratenmutter in deren spiritistischem Zirkel zur Hand. Regelmäßig nahm sie an den Séancen teil, die Natascha Keogh zu einer lokalen Berühmtheit gemacht hatten.
Dann war Sean Keogh im Sommer des Jahres 1953 umgekommen. Eine baufällige Mauer, an der er gearbeitet hatte, war über ihm zusammengefallen. Seine Frau, die trotz der Tatsache, dass sie noch nicht mal fünfzig war, schon sehr zur Kränklichkeit neigte, verkaufte das Geschäft und zog sich zurück. Gelegentlich hielt sie eine ihrer Séancen, um ihren Lebensunterhalt aufzubessern, der jetzt hauptsächlich auf den Zinsen des angelegten Geldes beruhte. Für Mary jedoch bedeutete der Tod ihres Vaters eine bislang ungekannte Freiheit, buchstäblich eine offene Tür.
Die nächsten zwei Jahre war Marys gesellschaftliches Leben nur durch ihre äußerst kargen Finanzen eingeschränkt, bis sie im Winter 1955 einen Mann aus Edinburgh, der fünfundzwanzig Jahre älter war als sie und in einer Bank arbeitete, kennenlernte und heiratete. Sein Name war Gerald Snaith, und Mary und er lebten trotz des
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