Auferstehung
Hand seine Finger berührte, wurden diese fieberhaft warm. Und als er diesmal schauderte, lachte sie. »Ah! Eine Jungfrau!«
»Was?«, zischte Dragosani und machte sich vermutlich völlig zum Narren. »Was–haben–Sie–gesagt?«
Sie ging zur Tür, trat in den Flur und wandte sich der Treppe zu. Dragosani griff sich wütend seinen Mantel und folgte ihr. Am Fuß der Holztreppe drehte sie sich um. »Das ist ein altes Sprichwort hierzulande, nur ein Sprichwort ...«
»Was?«, keifte er, als er ihr die Treppe hoch folgte.
»Also, wenn ein Junge schaudert, obwohl ihm heiß ist, dann ist er eine Jungfrau. Eine Jungfrau wider Willen!«
»Ein verdammt dämliches Sprichwort!«, knurrte Dragosani.
Sie sah zurück und lächelte. »Auf Sie trifft das natürlich nicht zu, Herr Dragosani«, sagte sie. »Sie sind kein Junge, und Sie sehen auch nicht sehr schüchtern oder jungfräulich aus. Außerdem ist es ja auch nur ein Sprichwort.«
»Und Sie nehmen sich zu viel bei Ihren Gästen heraus!«, grummelte er, weil er das Gefühl hatte, sie habe Mitleid mit ihm.
Auf dem ersten Treppenabsatz wartete sie auf ihn, lachte und sagte: »Ich wollte nur freundlich sein. Es ist eine kalte Begrüßung, wenn die Menschen nicht miteinander reden. Mein Vater lässt fragen, ob Sie heute Abend mit uns essen möchten, da Sie der einzige Gast sind, oder ob wir Ihnen das Essen aufs Zimmer bringen sollen.«
»Ich esse auf meinem Zimmer«, knurrte er sofort. »Wenn wir je dort ankommen sollten!«
Sie zuckte mit den Schultern, wandte sich um und stieg die zweite Treppe hoch. Die Stufen waren hier steiler.
Ilse Kinkovsi war auf eine Art gekleidet, die in der Stadt völlig aus der Mode gekommen war, in den Dörfern und ländlichen Gegenden aber immer noch geschätzt wurde. Sie trug einen mehr als knielangen Faltenrock aus Baumwolle, eng in der Hüfte gegürtet, ein schwarzes Leibchen mit kurzen Ärmeln und Rüschen an Schultern und Ellbogen, das vorne zugeknöpft war, sowie Gummistiefel, die zweifellos auf dem Bauernhof sehr praktisch waren. Dragosani empfand ihre Aufmachung als lächerlich. Im Winter würde sie auch Strümpfe tragen, die ihr bis über die Knie reichten. Aber es war nicht Winter ...
Er versuchte, seinen Blick abzuwenden, konnte aber nirgends sonst hinsehen. Und verdammt, wie sie vor ihm herstolzierte! Ein enges schwarzes ›V‹ trennte die hüpfenden weißen Kugeln ihres Hinterteils.
Auch am zweiten Treppenabsatz hielt sie inne, drehte sich um und wartete auf ihn. Dragosani blieb schlagartig stehen und hielt den Atem an. Sie sah auf ihn herab, so gelassen wie zuvor, verlagerte ihr Gewicht langsam von einem Fuß auf den anderen und blitzte ihn mit ihren grünen Augen an. »Ich bin mir sicher, dass es Ihnen hier ... gefallen wird«, sagte sie.
Dragosani schaute weg.
»Ja, ja – ich bin mir sicher, dass ich ... ich ...«
Ilse bemerkte den feinen Schweißfilm auf seiner Stirn. Sie wandte sich ab und rümpfte die Nase. Vielleicht war ihr erster Eindruck doch richtig gewesen. Eine Schande ...
FÜNFTES KAPITEL
Ohne weitere Verzögerung führte Ilse Kinkovsi Dragosani nun in die Mansarde, zeigte ihm das überraschend moderne Badezimmer und machte Anstalten zu gehen. Die Räume waren sehr hübsch: Die Wände waren getüncht, die Decke wurde von Balken aus altem Eichenholz getragen, und die Schränke und Regale waren aus lackiertem Holz. Dragosani begann, die Dinge mit anderen Augen zu sehen. Während das Mädchen zusehends kühler wurde, konnte er sich nun für sie erwärmen – oder eher für die Familie Kinkovsi, die er bislang noch nicht vollständig kennengelernt hatte. Es wäre äußerst taktlos von ihm, allein auf seinem Zimmer zu essen, nachdem die Kinkovsis, sowohl Vater als auch Tochter, ihm solche Gastfreundschaft erwiesen hatten.
»Ilse«, rief er ihr impulsiv hinterher. »Äh ... Fräulein Kinkovsi, ich hab’s mir anders überlegt. Ich möchte doch mit Ihnen essen. Ich habe als Junge auf einem Bauernhof gelebt, es ist mir also nicht fremd – und ich werde versuchen, nicht allzu unangenehm aufzufallen. Wann essen wir also?«
Sie stieg die Treppe hinunter und sah über die Schulter zurück. »Sobald Sie sich gewaschen haben und hinunterkommen können. Wir warten auf Sie.« Diesmal lächelte sie nicht.
»Aha! Dann werde ich in zwei Minuten da sein. Vielen Dank.«
Als ihre Schritte auf den Stufen verklangen, zog er rasch das Hemd aus, öffnete einen der Koffer und fand Rasierzeug, Handtuch, eine saubere,
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