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Auferstehung 3. Band (German Edition)

Auferstehung 3. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 3. Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Plätze und die Möglichkeit, etwas zum Trinken zu bekommen.
    Nechludoff war neugierig genug, einen Blick in einen der Waggons zu werfen. Er sah im Mittelgange zwei Gensdarmen stehen, die den Gefangenen die Handfesseln abnahmen. Abwechselnd hielten die Gefangenen die Hände hin; einer der Aufseher öffnete mit einem Schlüssel den Riegel, der die Handfesseln festhielt, während der andere sie abzog und forttrug.
    Nach den für die Männer reservierten Waggons kam Nechludoff zu denen, wo die Weiber eingesperrt waren. In dem ersten dieser Waggons hörte er eine heisere Stimme, die in eintönigem Rhythmus stöhnte: »Ach, Väterchen, ach Väterchen!«
    Der Unteroffizier hatte gesagt, die Maslow müsse sich im dritten Waggon befinden. Kaum hatte sich Nechludoff dem Fenster dieses Waggons genähert, als er einen dicken Schweißgeruch verspürte, der ihn einen Augenblick zwang, den Kopf abzuwenden. Im Waggon summte es förmlich von kreischenden und gellenden Stimmen. Auf allen Bänken saßen Weiber in bloßen Haaren, mit aufgeknöpften Jacken und rotem, schweißgebadetem Gesicht; sie schwatzten und keiften unter lebhaften Bewegungen. Nechludoffs Erscheinen hatte bald ihre Aufmerksamkeit erregt. Die, die dem Fenster zunächst saßen, schwiegen plötzlich und riefen dann die Maslow, die auf der andern Seite des Waggons saß und die blonde und lächelnde Fedossja neben sich hatte. Sobald sie Nechludoff bemerkte, stand sie auf, zog das Tuch, das sie eben abgenommen, wieder über ihre schwarzen Haare und lief, mit ihrem ganzen roten und belebten Gesicht lächelnd, zum Fenster, dessen dicke Eisenstäbe sie mit den Händen ergriff.
    »Ist das eine Hitze!« sagte sie mit fröhlicher Miene.
    »Haben Sie die Sachen bekommen?«
    »Ja, ich danke Ihnen!«
    »Sie brauchen nichts weiter?« fragte Nechludoff, von der entsetzlichen Hitze, die aus dem Waggon kam, halb betäubt.
    »Nein, ich danke, ich brauche nichts!«
    »Frage, ob man nichts zu trinken bekommen könnte,« sagte Fedossja schüchtern.
    »Ach ja, wir möchten gern etwas trinken,« wiederholte die Maslow.
    »Hat man Ihnen kein Wasser gegeben?«
    »Doch, einen vollen Krug; aber wir haben nicht alle getrunken!«
    »Ich werde darüber gleich mit dem Aufseher sprechen,« sagte Nechludoff. »Jetzt werden wir uns erst in Nischni-Nowgorod wiedersehen!«
    »Fahren Sie denn auch dahin?« rief die Maslow und that, als wüßte sie das nicht. Dabei richteten sich ihre Augen mit tiefer Freude auf Nechludoff.
    »Ja, ich fahre mit dem nächsten Zuge!«
    Die Maslow antwortete kein Wort, seufzte und schlug die Augen zu Boden.
    »Ist es wahr, Barin, daß zwölf Gefangene unterwegs gestorben sind?« fragte eine der Gefangenen, eine alte Bäuerin mit scharfgeschnittenen Zügen.
    »Ich habe nicht gehört, daß es zwölf sind, doch zwei habe ich selbst fortbringen sehen,« versetzte Nechludoff.
    »Ja, man sagt, es wären zwölf. Wird man diesen Henkern denn gar nichts thun?«
    »Und bei den Frauen ist nichts vorgekommen?« fragte Nechludoff.
    »Wir Frauen haben ein zäheres Leben,« versetzte eine andere Gefangene lachend, »Doch eine Frau hat sich's einfallen lassen, Geburtswehen zu bekommen, als sie hierherkam. Da, hören Sie sie stöhnen?« fügte sie hinzu und deutete mit dem Finger auf den nächsten Waggon.
    »Sie haben mich gefragt, ob ich nichts brauche,« sagte die Maslow und bemühte sich, ihr fröhliches Lächeln beizubehalten. – »Nun denn, kümmern Sie sich nicht darum, uns zu trinken zu verschaffen; doch vielleicht könnten Sie den Führern dieses Zuges sagen, man solle diese Unglückliche ins Hospital transportieren, denn sie stirbt sicher, wenn man sie zwingt, die Reise fortzusetzen!«
    »Ja, ich werde darüber sprechen!«
    Nechludoff entfernte sich, um Fedossjas Gatten, den man endlich an den Waggon herangelassen, den Platz abzutreten. Doch lange mußte er auf dem Perron hin und her laufen, ohne jemand zu finden, an den er sich wenden konnte. Die Aufseher des Zuges schienen jeden Augenblick mehr zu thun zu haben. Die einen beschäftigten sich damit, Gefangene unterzubringen, andere kauften Lebensmittel für die Reise oder brachten ihre Sachen in den Waggons unter; andere drängten sich wieder um eine Dame, die Frau eines Offiziers, die ihrem Manne folgen wollte. Kein einziger hatte Zeit, auf Nechludoff zu hören.
     
     
    Der zweite Glockenschlag war bereits erklungen, als Nechludoff endlich den Führer des Zuges bemerkte. Der dicke Offizier trocknete sich gerade den Schweiß von

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