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Auferstehung 4. Band (German Edition)

Auferstehung 4. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 4. Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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gesagt, Sie hätten mit mir zu sprechen,« murmelte sie mit verlegener Miene.
    »Ja, Katuscha, ich habe mit dir zu sprechen! Setz' dich! Wladimir Iwanowitsch hatte eben mit mir deinetwegen eine Unterredung.«
    Sie hatte sich gesetzt, ihre Hände auf die Kniee gelegt, und es war ihr gelungen, sich den Anschein der Ruhe zu geben. Doch sobald Nechludoff Simonsons Namen erwähnt, zitterte sie und wurde blutrot.
    »Und was hat er Ihnen gesagt?« fragte sie.
    »Er hat mir gesagt, er wolle sich mit dir verheiraten.«
    Das Gesicht des jungen Weibes verzerrte sich, wie unter der Einwirkung eines heftigen Schmerzes. Doch sie sagte nichts und begnügte sich, von neuem die Augen niederzuschlagen.
    »Er bittet mich um meine Einwilligung oder doch wenigstens um meine Ansicht,« fuhr Nechludoff fort. »Ich aber habe ihm gesagt, es hinge alles von dir ab; du allein solltest entscheiden.«
    »Und weshalb das alles?« rief sie und richtete den durchbohrenden Blick ihrer etwas schielenden Augen, der stets einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht hatte, auf Nechludoff.
    Beide blieben so eine kurze Minute sitzen und blickten sich in die Augen, und dieser Blick sagte beiden mehr, als viele Worte.
    »Du allein mußt entscheiden!« wiederholte Nechludoff.
    »Was habe ich zu entscheiden?« rief sie. »Es ist schon längst alles entschieden.«
    »Nein, nein, Katuscha, du mußt entscheiden, ob du den Vorschlag Wladimir Iwanowitschs annimmst!«
    »Kann ich mich verheiraten, ich Zuchthausbrut? Warum sollte ich Wladimir Iwanowitschs Leben vernichten?« sagte das junge Weib mit zitternder Stimme.
    »Aber wenn du ihn liebst?« fragte Nechludoff.
    »O, lassen Sie mich; es ist besser, nicht darüber zu sprechen,« versetzte sie, erhob sich und entfloh aus dem Zimmer.

Fünfzehntes Kapitel
    Als Nechludoff nach seiner Unterredung mit Katuscha in den großen Saal zurückkehrte, fand er die ganze Gesellschaft in Aufregung. Nabatoff, der überall hinging, alles beobachtete, sich nach allem erkundigte, hatte eben eine für seine Gefährten im höchsten Grade interessante Entdeckung gemacht. Er hatte an einer Wand eine von dem Revolutionär Petlin stammende Inschrift entdeckt, der vor zwei Jahren zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt worden war. Man glaubte, dieser Petlin wäre schon längst in Sibirien; und nun bewies die von ihm an der Wand zurückgelassene Inschrift, daß er einem ganz kürzlich hier durchpassierenden Zuge angehört hatte.
    Die Inschrift lautete:
»Ich bin am 17. August 18.. mit einem Zuge gemeiner Verbrecher hier durchgekommen. Newjeroff sollte mit mir reisen; doch er hat sich in Kasan in einem Wahnsinnsanfall erhängt. Mir geht's körperlich und geistig gut, und ich bin voller Hoffnung auf die Zukunft unserer Sache. Petlin.«
    Man tauschte Vermutungen über die Ursache der Verzögerung von Petlins Abreise aus, vor allem aber sprach man über die Gründe von Newjeroffs Selbstmord. Nur Krülzoff schwieg mit ernster Miene und blickte mit seinen silberglänzenden Augen vor sich hin ins Leere.
    »Mein Mann hat mir gesagt, Newjeroff hätte schon in der Festung Gespenster gesehen,« sagte Rontzeff.
    »Ja, ein Poet, ein Phantast! Solche Leute ertragen die Einsamkeit nicht,« erklärte Nowodworoff in verächtlichem Tone. »Als man mich in die Zelle gesperrt hat, habe ich es mir streng untersagt, meine Phantasie arbeiten zu lassen. Ich habe mir einen bestimmten Plan für meine Zeit festgesetzt, dem ich mit pünktlicher Genauigkeit gefolgt bin. Daher habe ich die Einzelhaft auch sehr gut ertragen.«
    »Die Einzelhaft ertragen! Das ist nicht einmal wert, daß man sich dessen rühmt! Ich habe mich sehr oft glücklich gefühlt, wenn man mich in die Zelle gesperrt hat,« rief Nabatoff mit gutmütigem Lächeln, indem er sich offenbar bemühte, das Gespräch abzulenken, und den Hauch der Traurigkeit, der sich ringsumher verbreitet hatte, zu verscheuchen. »In der Freiheit kümmert man sich um alles, fragt sich, ob man nicht den andern schaden und den Erfolg des Werkes in Frage stellen wird; sitzt man dagegen einmal in der Zelle, so fühlt man sich für nichts mehr verantwortlich: man kann frei atmen. Man braucht nur sitzen zu bleiben und Cigaretten zu rauchen.«
    »Du hast Newjeroff genau gekannt?« fragte Maria Pawlowna Krülzoff, dessen Gesicht sich von neuem verzerrt hatte und dessen Hände seit Nowodworoffs Worten wieder zu zittern angefangen hatten.
    »Newjeroff ein Phantast?« fragte Krülzoff, indem er seine erloschene Stimme so viel wie

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