Auferstehung 4. Band (German Edition)
möglich erhob. »Siehst du, Nejweroff war einer der Männer, von denen man sagt, die Erde bringe nur wenige ihresgleichen hervor! Er war ein wunderbarer Mensch, ein Mensch, den ich seiner Aufrichtigkeit wegen als durchsichtig bezeichnen möchte! Er war nicht allein unfähig zu lügen, sondern auch außer stande, seine geringsten Gedanken geheim zu halten. Und eine so feine Haut hatte er, daß die geringste Schramme ihn bis auf die Seele verwundete. Alle seine Nerven waren so feinfühlig ... Ja, eine zarte, weiche Natur, eine schöne Natur! Ach, der war nicht wie ... Doch, wozu darüber sprechen!«
Er schwieg einen Augenblick, doch man sah, daß der Zorn in ihm grollte.
»Leute von Newjeroffs Art,« fuhr er in bitterem und gequältem Tone fort, »fragen sich ängstlich, was besser sei: ob es besser sei, das Volk erst aufzuklären und dann erst die Lebensformen zu ändern, oder ob es vorteilhafter sei, erst die Lebensformen zu ändern; sie fragen sich, mit welchen Mitteln sie kämpfen sollen, ob mit der friedlichen Propaganda oder mit dem Terrorismus. Und darum nennt man sie Phantasten! – Die dagegen, die sie so nennen, fragen sich nichts, sie bestreiten nichts, sie kümmern sich nicht darum, ob ihr Wirken nicht zehn, Hunderten von Männern, und was für Männern, das Leben kosten wird! Im Gegenteil, es ist ihr Wunsch, daß die Besten umkommen mögen! Und die Besten kommen in der That um! Herzen sagte, die Proskription der Dekabristen hätte die Wirkung gehabt, das soziale Niveau Rußlands herunterzudrücken. Und daraufhin hat man Herzen und seine Mitstreiter proskribiert. Jetzt werden die Newjeroffs exkommuniziert!«
»Es wird aber doch nicht gelingen, alle Welt zu unterdrücken,« sagte Nabatoff. »Einige werden zur Schlußabrechnung doch noch dasein.«
»Nein, nicht ein einziger wird übrig bleiben, wenn wir diese Leute gewähren lassen,« rief Krülzoff, der immer wütender wurde, – »Emilia, gieb mir eine Cigarette.«
»Dir ist heute Abend nicht wohl,« sagte Maria Pawlowna, »ich bitte dich, laß das Rauchen.«
»Laß mich!« sagte er zornig, und zündete sich eine Cigarette an; doch schon bei dem ersten Zuge begann er wieder zu husten und zu ersticken. Einige Augenblicke blieb er liegen, um Atem zu schöpfen, dann wurde er von neuem lebhafter und sagte:
»Nein, so haben wir das Werk nicht aufgefaßt, so haben wir es gewiß nicht aufgefaßt. Wir überlegten, wir suchten nach den besten Methoden, während ...«
»Aber sie sind doch auch Menschen,« warf die Rantzeff ein.
»Nein, das sind keine Menschen, die so handeln und denken können ... man sollte sie ausrotten, wie die Wanzen, sie in die Luft sprengen; ja, das sollte man, weil ...«
Er begann einen neuen Satz, als sein Gesicht plötzlich blutrot wurde und ein heftiger Hustenanfall ihn gleichzeitig auf das Kopfkissen zurückwarf; dann sah man einen Blutstrom aus seinem Munde fließen.
Nabatoff stürzte auf den Korridor, um Schnee zu holen.
Maria Pawlowna trat auf Krülzoff zu und reichte ihm ein Fläschchen mit Baldriantropfen; er aber stieß mit geschlossenen Augen das Fläschchen mit seiner fleischlosen Hand zurück und blieb lange Zeit unbeweglich, ohne wieder zu Atem kommen zu können.
Als der Schnee und kalte Wasserkompressen ihn schließlich so weit hergestellt hatten, daß seine Gefährten ihn entkleiden und zu Bett bringen konnten, nahm Nechludoff Abschied und ging in den Korridor, wo der Oberaufseher seit längerer Zeit auf ihn wartete.
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Die gemeinen Kriminalverbrecher hatten jetzt ihren Lärm eingestellt, und die meisten schliefen. Sie schliefen nicht allein auf den Betten und unter den Betten, auf der Diele und vor den Thüren, sondern viele von ihnen, die im Innern der Säle keinen Platz hatten finden können, hatten sich nackt, mit ihren Reisetaschen unter den Köpfen, und, an Stelle der Betten mit ihren Kleidern zugedeckt, im Korridor hingelegt.
Die Säle und der Korridor hallten vom Schnarchen förmlich wieder, und überall lagen auf dem Erdboden seltsame menschliche Gestalten, die halb unter großen Mänteln verborgen waren. Nur einzelne Sträflinge, die in einer Ecke des Korridors beim Scheine einer Kerze Karten spielten, schliefen nicht. Nechludoff sah noch einen andern, der auch nicht schlief, einen alten Sträfling, der vollständig nackt unter der Lampe saß, und in seinen Kleidungsstücken nach Läusen suchte. Im Vergleich zu dem pestartigen Gestank dieses Korridors hatte Nechludoff die Empfindung, er habe
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