Aufgebügelt: Roman (German Edition)
ich. »Ihr versteht euch doch sonst so gut!«
»Der geht zum Studium nach England«, schimpft meine Tochter, »und der hat das mit seinen Eltern geplant und angeleiert, ohne mit mir zu reden. Was denkt der? Dass ich mitgehe, oder was?«
Genau das ist es, was der denkt, denke ich. Oder er denkt, dass er einfach macht, was er will, und entweder sie kommt mit, oder sie lässt es bleiben. Aber all das sage ich selbstverständlich nicht.
Rudi antwortet für mich: »Des is egoistisch von dem Bub. Des macht mer net!«
Zum Thema Egoismus sollte er sich nach unserem kurzen Gespräch vorhin eigentlich eher bedeckt halten – aber bitte. Das eigene Verhalten zu beurteilen ist ja immer noch mal eine andere Sache. Mit sich selbst ist man dann doch häufig etwas nachsichtiger als mit anderen.
»Danke, Opa«, murmelt Claudia und Mark grinst.
»Ja glaubst du vielleicht, der will ausgerechnet dich direkt nach der Schule heiraten, oder was? So bescheuert kann ja keiner sein«, gibt Mark dann auch noch einen Kommentar ab. Einmal Öl ins Feuer bitte!
»Du bist einfach nur sackblöd und hast keine Ahnung! Du wirst nie eine finden«, kontert seine Schwester. Geschwisterliebe ist etwas sehr Spezielles.
»Na ja, ich meine, er hätte darüber schon mal mit dir sprechen müssen. Nett ist das nicht!«, unterstütze ich meine Tochter.
»Der wird sich umgucken!«, schimpft sie los. »Soll er doch nach England und mit den blassen, fetten Engländerinnen abhängen.« Claudia ist richtig sauer.
»Na, vielleicht steht das alles noch gar nicht fest, und er überlegt sich das noch mal«, ändere ich meine Taktik.
»Die Uni ist ausgesucht, und er ist angemeldet – so ein scheißteurer Laden natürlich, ist ja klar, passt ja. Da ist nichts mehr mit Überlegen.« Ganz neue kritische Töne. Wie wunderbar!
»Tja«, ergreife ich noch mal sehr berechnend Partei für die Adelssippe, »natürlich wollen die von Hessges das Beste für ihren Sohn!«
»So, das ist also das Beste: Hauptsache weit weg von mir, oder was?«, schnaubt meine Tochter.
»So meine ich das natürlich nicht. Aber die wollen halt eine Top-Ausbildung für ihren Sohn, wie alle Eltern, und sie können sich das auch noch leisten!«, bohre ich noch ein bisschen in der offenen Wunde.
»Dem werde ich es zeigen. Was der kann, kann ich schon lange!«, wütet meine Tochter.
Heißt das etwa, auch sie möchte in England studieren? Ich spüre sofort, wie meine extreme Verarmungsphobie meinen Puls beschleunigt. Englische Internate kosten ungefähr 25000 Euro pro Semester. Netto! Davon leben andere Familien ein ganzes Jahr lang. Und ein Studium an einer Privatuni wird kaum billiger sein. Dazu noch die Mietkosten, Taschengeld und Flüge – eine Horrorvorstellung.
»Du willst doch nicht etwa auch nach England?«, frage ich vorsichtig bei meiner Tochter nach.
»Ha, ich renn dem doch nicht hinterher. Auf keinen Fall! Da ist doch eh noch beschisseneres Wetter als hier. Der kann mich mal!«, wettert sie weiter. Wie schnell sich die Lage ändern kann – eben noch Mister und Miss Unzertrennlich, und jetzt das.
»Wenn der nicht angekrochen kommt, war’s das. Ich sitz doch nicht hier rum, schimmle vor mich hin und warte, bis der ne englische Adelstusse anschleppt!«
Endlich erkenne ich meine Tochter wieder. Wie schnell man so eine Perlenkettenattitüde ablegen kann, ist erstaunlich. Trotzdem gefällt mir meine Tochter so besser. Irgendwie ist es altersadäquater. Besser ein bisschen motzig und zornig, als so mega-angepasst und spießig. Ich will, dass sie ihr Leben in die Hand nimmt und nicht einem anderen Leben, dem von Johannes Gustav von Hessges, hinterhertrottet.
Claudias Handy fiept. WhatsApp meldet sich. WhatsApp gehört zum Jugend-Handy-Standard-Equipment. Eine App fürs Handy, mit der man SMS und Fotos verschicken kann – per Internet. Und dabei kann man sehen, ob der andere online ist und ob die Nachricht angekommen ist. Dann erscheinen vor der versendeten Nachricht zwei kleine Häkchen. Das klingt sehr, sehr praktisch und ist es auch, führt aber schnell zu einer gewissen Manie. Man sieht, da ist jemand online, und man fragt sich sofort, warum einem der Trottel dann nicht eben mal eine Nachricht schickt. Außerdem kann ja auch der Gegenpart sehen, dass man online ist, und im Zweifelsfall fragt der sich, was man da eigentlich stundenlang guckt und beobachtet.
»Und?«, frage ich neugierig.
Die eben noch so gesprächige Claudia nuschelt: »Ist für mich!«, und unser Gespräch
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