Aufgebügelt: Roman (German Edition)
wohnen werden. Das ist also nicht nur Angeberei, sondern womöglich auch noch gelogen. Macht nichts, denke ich, er wird schon nicht im letzten Schuppen mit mir absteigen, und die beiden sind ja auch nicht dabei, um meine Aussage zu überprüfen.
»Ich mühe mich bei Parship ab, stehe abends in Clubs rum, und du gehst einmal aus und schnappst dir gleich auch noch einen von den echt angesagten Typen. Du musst mir verraten, wie du das machst!«, bettelt Gesa, und man kann förmlich sehen, was ihr durch den Kopf geht: Wie kann das nur sein? Die ist älter und ja auch nicht so hübsch!
»Also, das hätte ich nicht für möglich gehalten! Du musst uns haarklein Bericht erstatten. Schlaft ihr im Doppelzimmer?«, wird sie von Silke unterbrochen.
»Das sehen wir noch«, kichere ich und bin selbst unsicher. Bisher war ich davon ausgegangen. Natürlich hätte es noch mehr Charme, wenn er zwei Zimmer gebucht hätte. Das würde dem Ausflug eine andere Note geben. Aber, mal ehrlich, warum sollte er mich dann mitnehmen? Ich bin keine ausgewiesene Italien- oder Venedigexpertin, und dass er mich als Gesprächspartnerin so amüsant findet, dass er mich direkt auf einen Wochenendtrip einlädt, wage ich zu bezweifeln. Sehr viel gesprochen haben wir, jedenfalls in meiner Erinnerung, nicht. Es kann eigentlich nur um Sex gehen. Natürlich will man lieber als großes Ganzes begehrt werden – Geist, Körper und Charakter – als Gesamtpaket eben, aber was nicht ist, kann ja noch werden. Wenn er mich erst kennenlernt, wird er schon merken, was ich für eine tolle Frau bin.
Die Frage ist nur: Bin ich tatsächlich eine tolle Frau? Gibt’s da draußen nicht jede Menge bessere? Optisch mit Sicherheit. Ich bin als Schulnote eine Drei. Die würde ich mir jedenfalls selbst geben. Drei heißt: Befriedigend. Also schon ganz hübsch, aber nicht umwerfend. Ich gehöre nicht zu den Frauen, nach denen man sich auf der Straße mit halboffenem Mund umdreht. Ich bin guter bis gehobener Durchschnitt. Meine Figur ist in Ordnung, aber es ist eben die Figur einer Frau, die zwei Kinder und andere Hobbys hat als Pilates, Marathon, Yoga und Fitnessstudio. Mit etwas mehr Aufwand könnte mein Körper sicher ein wenig straffer und knackiger sein. Nur würde der Aufwand im Verhältnis zum Ergebnis stehen? Ich denke eher nicht. Allein schon der Gedanke an ein Mehr an Aufwand macht mich sehr müde.
Meine Oberschenkel sind etwas zu kräftig, mein Hintern auch. Aus meinem Hintern könnte man zwei kleine niedliche Popos machen. Obenrum ist alles ganz in Ordnung. Meine Brüste mag ich. Auch wenn sie nicht mehr ganz an Ort und Stelle sind. Meine Haare sind zu dünn, mein Kinn ist ein wenig zu spitz, der Rest geht. Mein IQ entspricht auch in etwa einer Drei. Ich habe bisher keine Anzeichen von Hochbegabung bei mir entdecken können, bin aber dennoch keine strunzdumme Tussi. Das ist alles so weit in Ordnung. Toll ist aber sicherlich anders.
»Du musst dich selbst lieben, damit andere dich lieben können!«, sagt meine Freundin Heike gerne.
Liebe ich mich selbst? Ist das nicht ein wenig narzisstisch? Eine doch sehr spirituelle Weisheit? Ich finde mich okay. Ja, ich bin zufrieden. Es hätte schlimmer kommen können. Aber wenn ich mich selbst, quasi von außen, betrachte, sehe ich durchaus Defizite. Zur Begeisterung für mich selbst neige ich nicht. Ich halte einen gewissen Realismus in der Hinsicht auch für besser.
Heike, mit der ich zwischendurch schnell mal telefoniere, hält meinen kleinen Wochenendtrip übrigens für keine besonders gute Idee.
»Du kennst doch die Männer, Andrea! Wieso die Kuh kaufen, wenn man die Milch umsonst haben kann!«
An dem Spruch ist sicherlich was dran – einerseits. Aber andererseits … Ich habe mal gelesen: »Wozu das Schwein heimbringen, wenn man nur ein bisschen von der Wurst will!« Genau das ist es eigentlich, und das antworte ich Heike auch.
»So kenn ich dich gar nicht!«, tut sie entsetzt, muss dann aber doch lachen. »Wenn das so ist, dann viel Spaß in Venedig, Warschau oder wo auch immer. Die Stadt spielt ja bei deinem Vorhaben keine große Rolle.«
Silke und Gesa sind den gesamten Vormittag im Büro komplett aufgeregt, gerade so, als würden sie ins heiße Wochenende starten. Bei all der Fragerei gebe ich mich zurückhaltend und auch ein bisschen geheimnisvoll.
»Halt uns auf jeden Fall auf dem Laufenden!«, verabschieden die beiden sich und wünschen mir kichernd ganz viel Spaß.
Totgearbeitet haben wir uns heute
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