Aufgebügelt: Roman (German Edition)
einfach so übers Gesicht laufen. Sie lebt und ist in guten Händen.
Im Hotelzimmer angekommen, rufe ich Christoph an. Er geht nicht dran. Ich schicke ihm eine SMS und erbitte die Telefonnummern von Birgit und Stefan, meinen Geschwistern. Mir fällt nichts ein, was ich tun könnte. Das ist das Schlimmste. Ich sitze hier und kann nichts tun. Eine halbe Stunde später habe ich die Telefonnummern von Stefan und Birgit.
Ich probiere es zunächst bei Stefan.
Meine Schwester kann irre streng und kleinkariert sein und hält einem gerne Vorträge – da kann ich momentan gut drauf verzichten. Meine Schwester ist Miss Perfekt. Bei ihr gelingt alles.
Mein Bruder meldet sich, untypisch für ihn, direkt nach dem zweiten Klingeln.
»Andrea, hi, ich bin gleich da. Vielleicht noch zwei Stunden Fahrt!«, begrüßt er mich. »Wie geht’s meiner Mami?«, schiebt er noch eine Frage hinterher.
Seiner Mami! Das ist typisch für meinen Bruder.
»Ich kann dir nichts Genaues sagen. Ich bin unterwegs und komme erst morgen nach Hause. Ich wollte eigentlich von dir wissen, wie es um Mama steht«, antworte ich.
»Ach so, dann rufe ich dich an, wenn ich da bin und was weiß! Ich bin im Auto und habe keine Freisprechanlage!«, sagt er nur.
Er will nicht mal wissen, wo ich bin. Was nicht an seiner mangelnden Neugier, sondern eher an einem gewissen Desinteresse liegt. Mein Bruder ist Prince Charming und gebärdet sich gerne wie ein Einzelkind.
Ich nehme all meinen Mut zusammen und rufe Birgit an. Meine große Schwester hat oft etwas Furchteinflößendes. Wir kommen klar, sind aber nicht wirklich dicke miteinander. Die beiderseitige Eifersucht steht einfach zwischen uns. Trotzdem raffe ich mich auf, schließlich geht es nicht um mich, sondern um Mama.
»Hallo, Brigitta!«, melde ich mich zaghaft.
Ausnahmsweise sage ich sogar Brigitta, denn eigentlich heißt meine Schwester Birgit, aber Brigitta findet sie wohlklingender. Genauso sagt sie es: wohlklingender. Normalerweise nenne ich sie schon aus Prinzip Birgit, heute verzichte ich aber vorsorglich darauf. Man muss nicht gleich garstig sein.
»Na, das wird ja mal Zeit, dass du dich meldest! Sag mal, wo steckst du überhaupt, und was ist das für eine Nummer, von der du anrufst?«, poltert sie direkt los.
»Das ist kompliziert. Ich bin in Istanbul und komme erst morgen zurück. Sei so nett, und halte mich auf dem Laufenden. Ich erzähl dir dann alles.«
»Wir sind extra aus Sylt zurückgefahren. Der Kurt hat alles aus unserem Wagen rausgeholt, und die Athene hat sich zweimal übergeben – aber du bist in Istanbul«, meckert sie los.
Der alte Hund hat ins neue Auto gekotzt. Wäre die Situation nicht so traurig, würde ich lachen. Das hat meinem Klugscheißer-Schwager sicherlich viel Freude bereitet. Ein vollgekotzter Porsche Cayenne.
»Aber wir regeln das hier natürlich. Wir sind gerade erst eingetroffen, und der Kurt hat schon den Professor kommen lassen!«, redet sie weiter. »Ich rufe dich an, wenn es was Neues gibt!«, teilt sie mir noch mit.
Oh, Kurt hat den Professor kommen lassen. Kurt ist das Schlimmste an meiner Schwester. Er weiß einfach alles, glaubt er zumindest, und meine Schwester tut es anscheinend auch. Aber egal. Sie sind da, und sie kümmern sich. Familie ist immer kompliziert. Ich ziehe mich aus und lege mich ins Bett, das Handy griffbereit und den Wecker gestellt.
Gegen 1:30 Uhr wache ich auf. Trotz all der Sorgen bin ich irgendwann anscheinend eingeschlafen.
»Andi, ich bin’s, Tom!«, höre ich eine Stimme. Rakete ist zurück. »Schlaf weiter. Ich hoffe, mit deiner Mutter ist alles so weit klar«, zeigt er sogar Spuren von Empathie.
Als er im Bett liegt, nimmt er mich in den Arm, freundschaftlich und liebevoll. Er hält mich einfach nur fest.
»Meine Mutter ist vor zwei Jahren gestorben. Ich habe lange gedacht, das überlebe ich nicht«, flüstert er mir zu. »Schlaf, so gut du kannst!«, sagt er dann noch.
Jeder hat doch irgendwie auch was Gutes, selbst ein Rakete, denke ich beim Einschlafen, und der Gedanke hat etwas Tröstliches.
5
Ich wache auf, bevor der Wecker klingelt, und schon geht es in meinem Kopf drunter und drüber. Ich habe eine neue SMS. Sie ist von Christoph.
Deine Mutter hatte eine ruhige Nacht. Fahre jetzt gleich wieder hin, habe aber schon mit deinem Vater gesprochen. Es scheint ihr etwas besserzugehen. Gruß, Christoph
Er hat Wort gehalten. Das ist schön. Ich schreibe zurück und bedanke mich. Melde mich vom Flughafen füge ich
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