Aufgedirndlt
neigte sich der nach Moschus Duftende wieder seinem nach Pferd riechenden Gesprächspartner zu und wisperte: »Sie mag es halt auch gern warm.«
»Wer?«
»Unsere Andrea.«
»Ah.«
»Und da käm’ so ein Scheich gerade recht.«
»Warum?«
»Weil dann könnt’ sie, also die Andrea, im Winter nach Arabien, und im Sommer könnt’s da sein, auf Gut Kaltenbrunn. So stellt man sich das halt vor.«
»Und Ihre Frau?«
»Die tät’ auch gern mal nach Ada Bhai.«
»So so.«
»Ja.«
Auch im weiteren Verlauf der Gemeinderatssitzung drehte sich alles um Gut Kaltenbrunn. Am Ende beschloss der Rat – mit Ausnahme der Stimmen der Konzeptpolitiker von der Umweltschützerpartei –, erst einmal abzuwarten.
Der Schlagersänger Hanni Hirlwimmer hieß eigentlich Johann mit Vornamen. Seine Blondheit wirkte angesichts seines Alters von achtundvierzig Jahren etwas unwirklich, aber als ehemaliger Spitzensportler – Hirlwimmer hatte als Hochspringer mehrfach bei den Olympischen Sommerspielen teilgenommen – legte er Wert auf ein jugendliches Äußeres. Es war etwas ungewöhnlich, dass ausgerechnet ein Hochspringer aus dem engen Tal mit dem See hervorgegangen war, aber ganz gleich, welcher Fernsehsender Hanni Hirlwimmers Mutter befragte: Die alte Bäuerin a. D. beteuerte stets, der Hanni habe schon immer »hoch hinausgewollt«. So ließ sich auch erklären, dass Hanni Hirlwimmer gelungen war, was vielen anderen Spitzensportlern – sei es aus Dummheit, Unvermögen oder Lebenspech – versagt blieb: Hanni Hirlwimmer hatte eine astreine zweite Karriere hingelegt. Mit seinen Liedern besang er die Dinge, ohne die ein Menschenleben so schal schmecken würde wie ein Noagerl, also ein kleiner Rest, Bier in einem Maßkrug nach einem langen Sonnentag: die Liebe, das Bayernland, die grünen Wiesen, das Bergglück, den Sommer und den Schmerz des Abschieds.
Hanni Hirlwimmer war im Tal aber nicht nur als Künstler anerkannt, sondern galt auch als Trendsetter in Sachen Mode. Er sah sich als bayerischer Cowboy, weshalb er gewisse Freiheiten für sich beanspruchte. So hatte er durchgesetzt, dass man zur traditionellen Lederhose Cowboystiefel tragen durfte, und das als gebürtiger Bayer! Und: Hanni Hirlwimmer duftete meist wie ein Haufen gut durchgetrockneten Heus – wie das kam, war sein Geheimnis.
Aber dies war nicht der einzige Grund dafür, dass die Damen in seiner Nähe regelmäßig in Ohnmacht fielen. Der Hanni Hirlwimmer war schlichtweg ein Mann, den eine Frau unmöglich von der Bettkante stoßen konnte. Trotz seiner Weibergeschichten genoss der Sänger aber einen guten Ruf. Auch hatte Hanni Hirlwimmer bislang nicht zur Scheidungsstatistik beigetragen – der bauernschlaue Barde hatte von vornherein die Finger vom Heiraten gelassen. Wenn er sich nicht gerade auf einer seiner vielen Reisen durch Deutschland, Österreich und die Schweiz befand, wohnte er bei seiner Mutter auf dem familieneigenen Hof, dessen Balkone im Sommer von der Last unzähliger Geranien beinahe herabzustürzen drohten, so sah es jedenfalls aus. Hier komponierte er seine Liebeslieder, und hier empfing er auch die Menschen aus dem Tal. Denn Hanni Hirlwimmer mochte die Menschen, und sie mochten ihn.
Am Tag nach der Versammlung saß Hirlwimmer gerade an dem schweren Tisch auf der Natursteinterrasse vor seinem Haus und rätselte, welches Wort sich auf »Liebesmüh’« reimte. Er brauchte das für seinen neuen Song, aber ihm fiel nur »Diebesküh’« ein, was – man konnte es biegen und brechen, wie man wollte – in das Lied überhaupt nicht passte – da kam der Bernbacher Franz um die Ecke.
Hanni Hirlwimmer hob den Blick, sprang auf und schritt in seinen nigelnagelneuen Cowboystiefeln (sie stammten angeblich aus genau demselben Laden, in dem auch Arnold Schwarzenegger einzukaufen pflegte) und mit einem offenen, blonden Lächeln auf den Franz zu. »Franz!«, rief er, »es ist mir eine Freude!«
»Hast du Zeit?«, wollte der Franz wissen.
»Für dich immer«, log der Hanni Hirlwimmer. Lügen musste man können, wenn man in der dünnen Luft der Prominenz überleben wollte. »Sitz her«, forderte er den Franz auf.
Der nahm Platz und konzentrierte sich umgehend auf sein Anliegen: »Es geht ums Seefest nächste Woche.«
Hanni Hirlwimmer nickte ihm aufmunternd zu. »Das wird eine Gaudi!« Damit traf der Schlagersänger den Nagel auf den Kopf. Denn das Seefest war der wichtigste Termin des Jahres. Wer etwas auf sich hielt, war zugegen. Und wer unter den
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