Aufgedirndlt
der Zeit«, erklärte die Bäuerin nicht ohne Stolz.
Nach einer effektvoll platzierten Pause verkündete sie mit einer gewissen Schärfe in der Stimme: »Aber der Scheich muss aufpassen. Man macht sich am See so seine Gedanken. Es gibt bereits Pläne.«
Dieser Satz saß wie der Schaum auf dem Weißbier, und ehe Hanni Hirlwimmer und der Bernbacher Franz nachfragen konnten, was für Pläne die Altbäuerin denn meinte, war die Hirlwimmerin schon vom Dunkel des Hausflurs verschluckt worden. Hanni Hirlwimmer und der Bernbacher Franz sahen sich ratlos an.
Anne ging nicht gerne ins Strandbad. Es war ihr dort zu laut, und je später am Tag man kam, umso schmutziger war die Liegewiese – Lutscheisstiele, Gummibärchenpackungen, Pommes frites lagen überall herum. Dazu gab es jede Menge halbstarker Flegel, die sich gegenseitig durch die Badeanstalt jagten, und schließlich bestand immer die Gefahr, jemanden zu treffen, der einem ein Gespräch aufzwang. Aber Lisa liebte das Schwimmbad, sie traf dort ihre Schulkameradinnen, schaute belustigt den größeren Jungs bei ihren Rüpeleien zu und kaufte gerne beim Kiosk die Bananen- und Erdbeerfruchtgummis.
Anne wäre an diesem dienstfreien Samstag lieber im eigenen Garten geblieben, von dem aus man dank seiner geschützten Uferlage wesentlich angenehmer im See schwimmen konnte. Doch Lisa hatte auf dem Strandbadbesuch bestanden. Also saß Anne nun auf ihrem Handtuch und blätterte lustlos in einer Frauenzeitschrift. Auch vermied sie es, allzu oft den Blick zu heben, weil sich etwa fünf Meter weiter ein Familienvater mit seinen Kindern niedergelassen hatte und ihr seither unmissverständliche Blicke zuwarf.
Anne war jedoch überhaupt nicht in Flirtlaune. Sie war noch gestresst von der vergangenen Woche. Jeden Tag waren noch mehr Mädchen zum Hotel gekommen, jeden Tag war es schwieriger geworden, die Meute einigermaßen zu bändigen. Ein Mädchen hatte Anne gar festnehmen und abführen müssen. Es hatte den Cousin des Scheichs regelrecht angesprungen und sich an ihm festgeklammert, als dieser vor das Rezeptionsgebäude getreten war, um die nächsten Kandidatinnen hereinzurufen. Besagtes Mädchen war noch weit hinten in der Schlange gestanden, dann aber schnell nach vorn gerannt, um den Araber mit Küssen zu bedecken und ihn anzuschreien, er dürfe es »ficken«, so lange er wolle, wenn sie nur endlich zum Emir dürfe.
Aladdin bin Suhail konnte sich von der halb nackten Angreiferin nicht ohne Annes und Sepp Kastners Hilfe befreien. Sein Jackett war nach dem Kampf komplett mit Lippenstift beschmiert. Und bei der späteren Überprüfung der Personenstandsdaten und nach Abnahme einer Blutprobe hatte sich herausgestellt, dass das heiratstolle Ding erst sechzehn war und außerdem sturzbetrunken, 2,54 Promille. Anne hatte es in die Ausnüchterungszelle der Dienststelle gebracht und die Eltern verständigt.
Das Tal erinnerte die Polizistin immer mehr an ein Freiluftirrenhaus. Besonders besorgniserregend fand sie aber, was im Hotel vor sich ging. Man konnte natürlich nicht wissen, was an den Gerüchten dran war. Doch insgesamt machte das ganze Harems-Casting einen menschenunwürdigen Eindruck. Allerdings waren Anne die Hände gebunden: Von oberster Stelle hatte die Polizeiinspektion die Anweisung bekommen, nicht in die Geschehnisse einzugreifen, wenn nicht ein eindeutiger Hinweis auf etwaige Straftaten vorliege. Ein Mann aus dem Ministerium hatte Anne am Telefon tatsächlich erklärt, die Regierungskoalition befürchte, als ausländerfeindlich dazustehen, wenn sie anordne, bei einem Vorgang einzuschreiten, der zwar ungewohnt wirke, aber letztlich als harmloser einzustufen sei als jede Castingshow im deutschen Fernsehen, wo junge Menschen doch sogar öffentlich und vor einem Millionenpublikum bloßgestellt würden. Anne vertrat eine andere Meinung, aber gegen Weisungen von oben konnte man als einfache Polizeihauptmeisterin wenig unternehmen. Allerdings hatte sie sich vorgenommen, besonders wachsam zu sein. Und so spitzte sie auch die Ohren, als sie vor den Strandbadtoiletten hörte, wie ein etwa fünfzigjähriger Mann ein Mädchen als »Schlampe« beschimpfte – es schien sich um Vater und Tochter zu handeln.
»Ich bin keine Schlampe«, empörte sich die junge Frau, die Anne auf gut zwanzig schätzte.
»Der will doch bloß billige Nutten und sonst nix! Das wirst’ schon sehen. Das ganze Casting ist eine reine Erfindung, damit der Araber einen Haufen junge Frauen zum Sex zwingen
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