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Aufgedirndlt

Aufgedirndlt

Titel: Aufgedirndlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Steinleitner
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konnte man die Tätowierungen erkennen, die wie Hörner aus der Scham der Frau hervorwuchsen. »Fällt jemandem etwas zu diesen Tattoos ein? Ich meine: Hat jemand hier am Tisch so etwas schon mal gesehen?«
    »Ich halte das für eine eher unübliche Tätowierung«, ergriff Anne das Wort. »Das ist ja schon was völlig anderes als ein Arschgeweih.« Anne spürte Nonnenmachers erstaunten Blick. »So nennt man die Tätowierungen oberhalb des Gesäßes, die mal groß in Mode waren«, erläuterte sie deshalb eigens für ihn.
    »Aber eine Art Geweih ist es auch«, meinte Kastner. Das Thema berührte ihn.
    »Der Teufel. Das ist der Teufel«, krächzte jetzt Nonnenmacher, nachdem er noch einmal einen scharfen Blick auf die Fotos geworfen hatte, und lachte dann verrückt.
    »Ich kenne mich mit Wild nicht so gut aus«, meinte Schönwetter nachdenklich, »aber es könnten auch die Hörner eines Rehs sein.«
    »Hat ein Reh denn überhaupt Hörner?«, warf Anne nun ein. »Ich dachte, die Weibchen seien hörnerlos?«
    »Es ist der Teufel«, wiederholte Nonnenmacher und kicherte erneut.
    Nachdem er seinem Chef einen strafenden Seitenblick zugeworfen hatte, sagte Kastner, für seine Verhältnisse in sehr selbstbewusstem, aber keineswegs besserwisserischem Ton: »Das Wort ›Reh‹ sagt nichts darüber aus, ob es ein Weibchen oder ein Männchen ist. Also jedenfalls nicht wildbiologisch. Ein erwachsenes männliches Reh ist ein ›Bock‹. Und ein weibliches nennt man bei uns ›Geiß‹, bei euch in Norddeutschland«, er wandte sich Anne zu, »›Ricke‹.«
    Das Rheinland liegt doch nicht in Norddeutschland!, dachte Anne, verzichtete aber darauf, ihren Kollegen darauf hinzuweisen.
    »Nur der Bock trägt ein Geweih«, fuhr Kastner fort.
    »Und sieht dieses Tattoo für Sie aus wie das Geweih eines Rehbocks, Herr Kastner?«, fragte Schönwetter.
    »Ja, das könnte schon eines sein. Vielleicht ist es ein wenig zu geschwungen, aber das ist dann halt künstlerische Freiheit«, antwortete Kastner.
    Schönwetter fragte in die Runde: »Können wir ausschließen, dass es sich um ein satanistisches Ritual handelt?«
    »Ich denke schon«, meinte Kastner.
    »Vielleicht sollten wir ein Gutachten einholen«, schlug einer der Kripobeamten aus Schönwetters Team vor. »Auch wenn wir mit so etwas noch nie zu tun hatten, aber es gibt doch immer wieder Verbrechen mit satanistischem Hintergrund.«
    »Die treffen sich auf dem Friedhof, trinken Blut und tanzen um die Grabsteine«, sagte Nonnenmacher mit Gruselstimme. Anne wusste beim besten Willen nicht, was in ihren Chef gefahren war. Zwar sah für sie das Geweih auch eher nach einem Reh aus, aber schließlich hatten Satanisten auch schon Kinder getötet und Frauen vergewaltigt. Hier und jetzt war jedenfalls nicht der richtige Zeitpunkt, um Witze darüber zu machen.
    Direkt nach der Besprechung fuhr Anne gemeinsam mit Sepp Kastner nochmals an das Seeufer, an dem die Leiche gefunden worden war. Akribisch suchten sie den Kiesstrand und die Wiesen darüber ab. Aber sie entdeckten keine weiteren Spuren oder Gegenstände. Weder fanden sie die fehlenden Kleider der Toten – es war unvorstellbar, dass die Frau lediglich mit einem Spitzenhemdchen bekleidet an das Seeufer gekommen war –, vor allem aber konnten sie keine Schusswaffe entdecken. Als sie sich einig waren, dass sie nichts weiter erreichen würden, trennten sie sich. Anne fuhr zum Scheich-Hotel, um nachzusehen, ob der wegen des überraschenden Todesfalls geänderte Plan für den Wachdienst funktionierte und eingehalten wurde. Und Kastner suchte die Bewohner der Häuser auf, die in der Nähe des Fundorts der Leiche lagen, um sie zu befragen, ob sie in der Nacht des großen Seefests einen oder mehrere verdächtige Schüsse gehört oder etwas Verdächtiges gesehen hatten.
    Auf dem Weg vom ersten Anwesen, wo er niemanden angetroffen hatte, zum zweiten Objekt kam Kastner an einem auf der falschen Straßenseite parkenden Ferrari vorbei. Sofort erkannte der Polizist, dass es sich um den Sportwagen des Schlagersängers Hanni Hirlwimmer handelte. Zwar gab es am See einen Haufen Ferraris, aber der romantische Musikkünstler hatte sich für seinen Boliden eine besondere Lackierung einfallen lassen: Der ganze Wagen war schwarz grundiert, doch vorne auf der Motorhaube prangte eine tiefrote Rose samt Stiel mit Stacheln, Blüte und Blättern. Die Blume wiederum entwuchs einem Herzen, dem die vollen und natürlich rosafarbenen, zu einem Kussmund gespitzten Lippen

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