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Aufgelaufen

Aufgelaufen

Titel: Aufgelaufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koehn
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hatte Valium gehortet, das schluckte er. Ruhe. Liegen und Nichtstun. Keiner da, der antrieb, schrie, forderte, befahl. Sterne glommen, Gitterschatten. Ein Scheinwerferstrahl huschte vorbei.
    „Sie päppeln wir wieder hoch!”, sagte der Arzt, an seinem Bett stehend.
     
    Der Tod. Abgelehnt. Begründung: Es würde davor noch ein straffreies Leben verlangt. Da war sie wieder, die Unfreiheit der Selbstentscheidung. Da waren der Schweiß, die saugende Zeit, das Schnarchen im Nebenbett und keine Möglichkeit, dem zu entkommen. Monate später die Entla s sung. Das Stehen vor der Tür. Die Einsamkeit, die sich Freiheit nannte. Die zog ihm die Haut in Fetzen, brach dröhnend in seine Trommelfelle, troff die Achseln nass. Er, rein in eine Taxe: „Zum nächsten Spirituose n laden, aber schnell!“ Eine Flasche Korn, eine Cola im Arm: „Zum Ohl s dorfer Friedhof, los!“
    „Effie ...!”
    Tausend Nadeln in der Haut. Blockierte Atmung. Schwacher Kreislauf. Lauter Angst, was wie wird – und ein Versprechen. Ein paar Tage später füllte er einen ihrer ehemaligen Pfleger in einer nahe gelegenen Kneipe ab. Danach wusste er, was er wollte. Seinen Anwalt interessierte das nicht.
    „Das ist Kneipengequatsche. Das hat vor Gericht keinen Beweiswert.”
    „Und nun?”
    „Muss ich Ihnen das sagen?”
    Den Baseballschläger besorgte er in einem Sportgeschäft.
    Auf dem Parkplatz, vor dem Driving Range des Golfclubs, passte er den Chefarzt ab.
    Zwei heftige Schläge auf die Oberschenkel und als der lag, zwei beso n ders schwere auf die Oberarme. Tief ins Maul steckte er dem die leere Medikamentenpackung, die er vom Pfleger hatte.
    Mit dem Jaguar des Arztes fuhr er davon.
    Die Sturmhaube riss er sich während der Fahrt aus dem Gesicht, warf sie aus dem Fenster, die Handschuhe behielt er bis zum Schluss an. Den Karren parkte er, Tür und Fenster offen, am Hafen. Um ihn ein glattes Gleichmaß, das Wasser entspiegelt. Tiefe Ruhe im Teich des Bewusst-seins. Tage später saß er im Windzug von Fensterritzen in einem grauen Zimmer zwischen grünlichen Wänden. Arbeitsamt, Prüfung zum Binne n schiffer. Nach zeitlosem Lehnen, Denken und Schreiben war die Prüfung bestanden.
    „Glückwunsch!”
    „Danke.”
    „Übrigens, ich habe da einen Job für Sie. Gute sechs Monate auf See ...”
    Ein Bananenfrachter, blitzweiß, gepflegt. Ja, er musste weg aus der Ausweglosigkeit des Denkens, er gehörte in die klare Luft. Er hatte sich eine Glatze schneiden lassen; das machte den Kopf leichter, die Körpe r pflege einfacher.
    Der Frachterkapitän verschob nebenbei Waffen; weil er Frau und Freundin hatte, weil er ein Haus bauen wollte, weil er tausend Gründe hatte, reich werden zu wollen. Pierre sagte dazu nichts, war teilnahmslos, faul im Hamsterrad. Hatte Höhlen in seinen Wangen, zog sich eine Decke über beide Ohren und horchte ins Dunkel.
    Von großer Fahrt zurück, suchte er eine Wohnung. In der Nähe des Kirchhofs fand er die: zwei Zimmer in einem Haus mit penetrantem Mief. Schweißfußindianer. Von der Treppe ein trüber Gang, links die erste Tür führte in seine Bude. Viele Möbel hatte er nicht, Spind, Tisch, Bett, Se s sel. Er würde sowieso nicht oft da sein.
    Ihm gegenüber hauste eine junge Frau. Die sah aus, als schaffte sie an. Ging er an deren Wohnung vorbei, hörte er Keuchen, Stöhnen, Weinen. Die Tür stand immer offen, Dreck, Plastiktüten mit Müll, Präservative obenauf. Ein schmuddeliges Kind lief umher. Anscheinend machte die Hure Überstunden bis in den Morgen.
    Pierre drehte dann die Musik lauter, um schlafen zu können.
    „Irgendwie hatte ich trotz allem Glück“, dachte er fiebernd auf der Ma t ratze.
    „Vierzig Grad Fieber“, befand sein Bewährungshelfer und: „ein Arzt muss her!“
    TBC, Sputum, Kälte, Isolation, Blutsturz. Ein Zwölfbettzimmer, die Schritte des Doktors auf dem Fliesenmosaik.
    „Sie werden uns beim H eilungsprozess tatkräftig unter stützen müssen.”
    Er hörte, was der sagte, aber wovon war eigentlich die Rede?
    „Ich muss es vom Torf haben, vom Leben da.”
     
    Er las Manns  „Zauberberg“. War Gleicher unter anders Gleich en – w i e der einmal. Doch trotz Thomas Manns Trost war Hoffnungslosigkeit in hohen kalten Gängen, Lakonie, abgetretene Filzpantoffeln, Stagnation, ein wackliges Standbild, das Halt suchte.  Ein Geruch, der Gefährliches an sich hatte. Ein Befund, größer als Null. Der Tod, den er zig Mal tä g lich, zwei Finger breit, in die Flasche laufen ließ. Ja, das

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