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Aufgelaufen

Aufgelaufen

Titel: Aufgelaufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koehn
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hielt er aus einer Laune Minka darüber, damit die zum Abschied noch einmal ihren ehemaligen Herren sehen konnte. Urplötzlich miaute die, kreischte, strampelte wie wahnsi n nig, sträubte ihre Nackenhaare und biss Pierre in den Daumen.
    Zurück in der Kapitänskabine gab er ihr Honig mit Wodka zur Beruh i gung. „Auf den Schrecken“, sagte er. Selber trank er den Schnaps pur, desinfizierte den Daumen mit einem Schluck, den er vom Mund auf die Wunde spuckte, wusch sich die Hände mit dem Rest, als ob es irgendwas abzuspülen gäbe. Dann pappte er ein Pflaster über die Bisswunde.
    Nirgendwo am Schiff hatte er Schäden entdeckt, auch nicht in der Küh l truhe. Er war keinesfalls unzufrieden. Es war ein guter Tag.
     
    Kleinigkeiten sind es, die großen Ereignissen vorausgehen.
    Seine Kleinigkeiten begannen wie immer mit Wodkaholen. Dazu musste er tief ins Schiff steigen. Und erstmals seit Monaten stand die Sonne durch das Bullauge so winklig, dass sie die Stelle beschien, an der er verräter i sche Spuren sah. Eingetrocknetes Blut, dass er vergessen hatte , zu beseit i gen. „So eine Scheiße“, säuerte er vor sich hin. „Wenn das jemand b e merkt hätte. Der Polizist, der hat doch lange hier geschmökert , und doch nur den Wodka ge funden. Na ja, besoffen wie der war! Glück gehabt.“
     
    Pierre holte die Teerquaste und beseitigte, was störte. Später zitterten Blitze hinter seiner Stirn, Erinnerungen, Schmetterlinge. Zum Grab von Effie trugen ihn die rastlosen Schwärme. Doch so viel er auch trank, die Schatten auf seiner Seele verschwanden nicht. Nicht der Garten. Also musste er hin, um seine Liebe in den Stein zu ritzen. Er wollte sich von einem Schiffer mitnehmen lassen. Einen entsprechenden Pott hatte er Stunden zuvor Richtung Hafen Schnackenburg vorbeiziehen sehen. Zum Liegeplatz ging er wie ferngesteuert. Der Kapitän saß am Kairand, seine Füße baumelten im Wasser. Sonnenstreifen wanderten.
    „Hallo, Schipper!“
    „Morjen.“
    „Ich muss nach Hamburg, kann ich mit?“
    „Daraus wird nix, Junge“, brummte der.
    „Warum? Denkst du ich hab Matrosen am Mast?“
    „Nö, aber der Diesel tut’s nicht. Ich warte auf den Ing.“
    „Wann kommt der?“
    „Übermorgen.“
    „Tja, wenn du willst, mach ich dir den Kahn flott!“
    „Kannst du?“
    „Ja.“
    „Denn mal los!“
     
    Der Schiffsjunge, das war die Frau des Kapitäns, und der Alte, die reic h ten an das Werkzeug, was er brauchte. Vier Stunden ohne zu pissen und zu trinken stand er im Motorenschacht, die Finger schwarz, die Hoffnung grün.
    „Starte mal“, brüllte er hoch, und gleich beim ersten Versuch – Bingo!
    „Komm nach oben, Junge, den Schluck haste dir verdient!“
    „Ich hole eben mein Bündel, dann ...“
    Der Kapitän spuckte ohne Freude ins Wasser, sah ihn an, prüfend, nac h denklich. Spuckte nochmals, sagte: „Lass dir Zeit, meine Frau macht s o wieso erst mal was zu futtern!“
     
    Der Morgenhimmel war blutig, die Sonne schlief hinter dem Horizont, als sie ablegten. In elbdunstiger Ferne entschwand Guste, sein Kahn, ein dunkler unheimlicher Wal, an Land geworfen und verwesend. Scharf und anhaltend ihr Abschiedsgruß. Der Aasgeruch verfolgte ihn bis nach Ha m burg; erst als er den Hafen verließ, war der verflogen. An der großen Fre i heit mietete er sich ins ‚Hamburg’ ein. Nutten mit spitzen Brüsten, kurzen Röcken ohne Slip darunter, gingen ein und aus. Ihre salzigen Mösen kon n te er erahnen. Die ungewaschenen Hintern. Die im Dutzend vollen Präse r vative an deren Bidets. Und die dazugehörigen ältlichen Freier, schäbig in Klamotten, geil im Blick, jagten auf den Fluren umher. Junge Männer in blauen Uniformen und runden Mützen sabberten durchs Treppenhaus. Manche von denen trugen ihre Dinger himmelhoch. Zuhälter, in Seide, mit von Moos ausgebeulten Seitentaschen, die lässig in Zwölfzylinder-Porsche stiegen, in grellrote Ferraris. Die Blechkarren rochen nach Geld, Revolver, Messer, Pulver, Armani – wie ihre Herren. Vollgekotzte Beso f fene lungerten in Hauseingängen, bettelnd um einen Schluck, einen Fick, wenn sie wussten was das war. Also, im Ganzen ein schäbiges Stundenh o tel, das ‚Hamburg’ .
    Jedoch die Stadt nicht, nur hier ein Puff, und doch genau richtig für ihn. Denn das wollte er: versiffen, vergessen, versumpfen, versacken – unter solchen wie er einer war.   
    Den ersten Schnaps trank er doppelt, als wollte er schnell in die Unfas s barkeit gelangen; um auf Gedanken zu

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