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Aufgelaufen

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Titel: Aufgelaufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koehn
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Mückenstich, ein bisschen Blut, etwas Gewebeflüssigkeit, bald eine sachte Schwellung, nichts weiter. Und Tetanus hatte ich erst neulich“. Doch immerhin, der „Stich“ hatte ihn für einen Moment irritiert. Das gab ihm zu denken. „Ich bin aus der Übung“, tröstete er sich. Was er trotz mangelnder Übung wusste: Er durfte keine Spuren im und am Fahrzeug hinterlassen, Von wegen genetischer Fingerabdruck und so! Auch deshalb behielt er die Handschuhe an, beabsichtigte an der nächsten Autobahnras t stätte den Karren zu wechseln. Ein Auto klauen,  ne Sekundensache, wie immer.
    Vorher hatte er noch einen Happen gegessen, eine Bockwurst mit Brot, Kaffee getrunken und die dünne Brühe fünf Minuten später ausgepinkelt. Glück gehabt, dass die Wurst drin geblieben ... Auf der Toilette, beim Händewaschen, haute ihn einer an – er zog sich gerade die Handschuhe wieder an –, höchstens achtzehn, der Knabe.
    „He!“
    „Was?“
    „Frierste?“
    „Ne, wieso?“
    „Weil de Handschuhe trägst.“
    „Bin Allergiker.“
    „Ach so.“
    „Und nu ...?“
    „Kannste mich mitnehmen?“
    „Ich dachte schon, du wolltest mir einen blasen.“
    „Neee ... Bin kein Stricher!“
    „Wohin willste denn?“
    „Wohin fährste denn?“
    „Berlin!“
    „Oki, fahr ich mit!“
    „Musst aber noch ’nen Augenblick warten ...“
    „Warum?“
    „Ich hab keine Karre!“
    Keine ...?“
    „Ne.“
    „Shit! Und nu?“
    „Geh ins Cafe, ich hol dich gleich“
    „Du, noch einen Rat, nimm einen Daimler, die halten ewig.“
    Scheint ein Komiker zu sein, dachte Pierre. Er holte den Daimler, dann den Jungen.
     
    Der Junge saß neben ihm, sah aus wie Schnee im Schatten; Typ gelan g weilte, satte Jugend, die nicht tiefer blickte, als auf den heiß gemachten Fixerlöffel. Doch der hier war ganz normal, merkte er später; normaler als er selber, und doch irgendwie ein Nichts, wenn er die Klappe hielt.
    „Was machste denn so?“, fragte er den Jungen, obwohl er eigentlich li e ber schweigen würde.
    „Nüscht!“, kam prompt die erwartete Antwort.
    „Aha, du bist also ein Suchender ohne Ziel?“
    „Ich such nüscht.“
    „Na ja, jeder hat so seine Begabung, durchs Leben zu kommen.“
    „Wie meinste das?“
    „Man ist das, was man tut, was gibt es sonst zu tun?“
    „ Häh ?“
    „Weißte was, penn einfach ein bisschen, wenn wir da sind, weck ich dich.“
    „Oki, Alter ...“
    Der Junge schlief. Dieses öde Gesicht, dies Wenige an Hirn, dieser Diebstahl am Sein, der lebende Zwischentod, der nach faulen Zähnen roch, nach Schweiß, Sperma und Blut. Pierre brachte es über sich, dessen Gerüche wie eigene zu atmen; Jugend, die sich immer selber erkannte: Mit Gleichgesinnten hatte er in den Pinkelbuden seines Bezirks Homos beklaut. Kaltblütig kamen sie sich vor und manchmal ritzten sie ihren Opfern, als ob ihnen die Brutalität der Tat nicht reichte, Monogramme mit Messern ein.
    Polizei wurde nie gerufen und die Schwulen kamen wieder, immer wi e der, diese Schwanzlutscher und Arschficker. Alle spielten sie ein Spiel, spielten ihr Leben. Pierre tat es, weil er Geld brauchte, und vor Ekel an dieser arms eligen Welt, aus Hass auf seinen Vater, in Liebe zu seiner Mutter, bei der sein Feuer nie vom Regen gelöscht wurde, die ihn in ein Heim gesteckt hatte, trotzdem. Und genau deswegen verabscheute er die, die ihm befahlen, Schwänze, deren Tun in der Tat sich hochmütig Liebe nannte. Geborgenheit, aus warm gemachter Vaseline, die, um alles Sein zu überstehen, nötig war.
    In diese durchlässige Maske des Jungen jetzt, in all das Böse, dieses g e heimnisvolle frühe Leuchten und Vergehen in Hirn und Herz, in diese Suppe Selbstmitleid verbiss er sich, während er träumend fuhr; sich ha s send träumte und fuhr und fuhr und fuhr.  
     
    „Wir sind da!“, weckte er den im Traum zuckenden Tramper neben sich.
    „Wo denn?“
    „Sind gerade am Funkturm vorbei.“
    „Und, wo lässte mich raus?“
    „Ich stell den Hobel am Stutti ab.“
    „Und dann?“
    „Mensch, du fragst einen Mist!“
    „Ja, was denn?“
    „Ich geh zu Fuß weiter.“
    „Dann kann ich ja die Karre haben.“
    „Ja, kannste. Aber pass auf, is ’n Mercedes, der hält ewig.“
    „Du kannst Witze machen!“
    „Salü, Kleiner!“
    „Mach’s gut, Alter – und danke.“
     
    Pierre hatte die Handschuhe ausgezogen und stopfte die an einen am L a ternenmast klebenden Abfallkorb. Zwei, drei Querstraßen weiter wohnte Sam, ein ehemaliger Profiboxer und

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