Aufgelaufen
Gesäßtasche gesteckt, er lag da drauf, als er pennte. Als sie an ihm fummelte, zog er ihr mit dem Handrücken eine rüber. „Es war nicht so, wie du denkst “, heulte sie, als sie sich das Blut von den Lippen tupfte. ‚ Links verkehrt ’ , sagte seine Mutter immer, wenn sie ihn so abstrafte.
„Das nächste Mal beiß ich dir nen Tittennippel ab, merk dir das, du Fo t ze! Und nun lass mich koksen.“
Doch an Schlaf war nicht zu denken; sie musste heimlich den Notknopf gedrückt haben, denn polternd stürmten zwei Ungeheuer das Zimmer.
„Raus hier!“, brüllte einer.
„Ist schon gut, mal sachte“, antwortete Pierre beruhigend, und zog als weitere lebenserhaltende Maßnahme und Gedenk seines verletzten Armes einen Fünfhunderter raus und drückte den Schein einem der verdutzten Schläger in die Hand.
„Sag der Alten, sie soll mich pennen lassen, okay?“
„Okay!“ Die Tür klappte von außen, Ruhe im Puff. Die Hure drehte sich zu ihm um, lächelte krampfhaft, entschuldigend.
„Sei nicht böse.“
„Bin ich nicht!“ Und während er das sagte, sah er ihr auf die Beine, die ovalen Hüften im roten Rock. Dann glotzte er ihr in den Kleiderausschnitt, in dem sich dicke Titten wölbten; dann das verschwollene Gesicht, die blutige Oberlippe, das verschmierte Lippenstiftzeugs, und es schien, als wollte sie was sagen. Doch bevor sie das tun konnte, hob Pierre den rec h ten Zeigefinger und wackelte damit vor ihren verheulten Augen ein stre n ges „Nein“; dann, nach einer Weile des Schweigens , befahl er, ansche i nend versöhnt: „Dreh dich um, Fickmaus, ich mach’s dir von hinten.“
Dann stand er auf der Straße. Nahm ein Taxi, um aus dem Schließfach am Bahnhof Dammtor das Geld zu holen.
Rings um den Bahnhof lungerten die kranken Menschen eines abgenut z ten Alltags, Bahnhofspenner vor grauen Häusern, auf der Flucht vor ihrer Lebensangst in menschenfeindlichen Betonklötzern mit Schwitzwasser , das an Wänden herunterlief. Johlende Straßengangs, die sich prügelten . Kinder, die ihre Eltern hassten, Mütter, die ihre Kinder abtrieben. Wo alle sofort wegziehen würden, hätten sie einen Arzt, der ihnen Transportfähi g keit bescheinigte. Stattdessen wurden sie mit Resten aus Suppenküchen gepäppelt, mit alten Medikamenten behandelt, damit sie nicht abkratzten. Big Brother tagtäglich , wo manipulierte Menschen live den Kitt aus den Fenstern und die tagtägliche Bildzeitung fraßen. Dafür brauchte es keine Container.
12
Pierre hatte Geld, er gehörte nicht dazu. Er könnte sich aus jeder U m klammerung lösen, wenn er wollte.
„Wohin?“ fragte der Taxifahrer.
„Fahr einfach geradeaus, Alter!“
Und dann war er wieder da, bei Angela.
„Was hast du in der Tasche?“
„Geld!“
„Alles voll?“
„Ja!“
Sie fragte nicht, woher. Und das war gut s o, denn ihre Frage wäre ihm ein Netz, aus dem er sich nur mit Tätlichkeiten hätte befreien können.
„Gib mir die Tasche. Ich stelle sie in die Kammer.“
Sein Hemd war durchgeschwitzt.
„Die Tasche?“
Er runzelte die Stirn und schaute zu Boden.
„Kann ich dir vertrauen?“
„Ja, ich liebe dich doch ...“
Hitze wallte in ihm, ihr zu sagen, was er wusste.
Von der Straße unten, blinkte ihr eine Ampel in regelmäßigen Abstä n den Farbe ins blasse Gesicht. Und ihr Treuegelübde erinnerte ihn irgen d wie an einen schlecht vorbereiteten Wetterbericht. Das Dasein war diffus.
Als er sie ansah, den Blick von oben nach unten gleiten ließ, sah er ihre schlanken Beine in roten Strümpfen. Wieder dieses Rot. Geilheit stieg in ihm hoch. Mörderische Lohe aus verschleimten Atemwegen. Leide n schaft. Und die Lust , zu sterben.
Gefühle hetzten in umher, derweil fegte auf den Straßen der Stadt ein gleichgültiger Wind längst anderen Unrat vor sich her. Und dann, als Z u gabe, versank die Sonne am Ho rizont.
In die Zigarette danach sagte sie wie nebenher: „Du wirst gesucht.“
„Warum?“
„Die haben deinen Kahn flott gemacht.“
Pause.
„Wer?“
„Die örtliche Presse hat das Technische Hilfswerk mobilisiert.“
„Das weiß ich doch!“
„Die haben zusammen mit Polizei, Feuerwehr und THW den Kahn schon zu Wasser gebracht!“
„Und?“
„Zwei Tote gefunden!“
„Scheiße!“
Wieder Pause und die dritte Zigarette.
„Wer sind die?“
„Mein Steuermann und der Bootsmann.“
„Und was ist passiert?“
„Die haben sich im Suff gegenseitig die Schädel eingeschlagen. Ich wollte sie
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