Aufgelaufen
Willen abzustre i fen, ob heute, morgen, übermorgen – irgendwann, irgendwie. Und er stel l te sich die Schlagzeile in der Provinzzeitung vor, diese Lügen, die Wah r heiten wurden, des Mammons wegen.
„ Ach, es ist alles sin nlos was man tut“, dachte er. „M ach du den Anfang, lass es einfach ...“
Er legte sich ins Gras und döste. Die Zeit blieb rückwärtig stehen, er sah sich mit dem Vater beim Drachensteigen. Der Vater hielt den Drachen , und gab ihn nicht her.
„Sieh hoch, Junge, diesem Drachen nach, den der Wind im Hauch trägt!“ Doch anstatt hinzusehen, lief der Junge vom Vater weg, weiter und weiter. Und es trug ihn leicht, das Weglaufen. Der Vater wurde klein und kleiner, der Drachen winzig, der Junge immer schneller. Der Wind zog und zerrte an ihm, und auf einmal erhob er sich und konnte fliegen. Er flog weg vom Vater, von den Sorgen, der Welt, von allem; er war Vogel im Wind, federleicht, war einfach so und ohne Zweck. Am Himmel stand er, bis der Mond kam. Der Mann im Mond hatte ihn lächelnd angesehen und zustimmend genickt. Der kannte offensichtlich solche Kinder. Der Junge wusste, er war angekommen, erwachsen – ein Mann. Die Tür am Ende des Flures endlich geschlossen, lediglich Mutters undeutliche Sti m me war dort hindurch ab und an zu vernehmen. Sie ermahnte ihn: Tu das nicht, und lass dies... Doch Pierre hörte nicht, wie immer. Zwei tiefe Züge aus der Flasche brachten ihn in die Realität, in den Stand, zwar unsicher, aber doch. Nachdem er sich den Staub aus den Klamotten geschlagen hatte, ging er nach Hause, ins Bett und schlief in die Ahnungslosigkeit des neuen Morgen s .
10
Von Gartow brachte ihn ein Linienbus in die Altmarkstadt Salwedel, hier war er auf jeden Fall unbekannt. Wenige Minuten später schlenderte er über einen Supermarktparkplatz. Und wie immer am Monatsende herrsc h te reger Betrieb, dieses raffende, eilige Kommen und Gehen , als ob es was umsonst gäbe.
Pierre spazierte entspannt umher, als warte er auf wen, beobachtete g e duldig , und passte eine Familie ab, die einen Ford-Geländewagen parkte. Der Einkauf würde dauern, vermutete er, denn als er denen nachging, um sicher zu sein, dass die länger blieben, standen die Kinder des Paares schon beim Eisverkäufer, rannten dann, mit dem Eis in der Hand, zu einer der Miniluftschaukeln.
Fleischfarbene Handschuhe zog er über.
„Hast nichts verlernt“, grinste er fünf Minuten später, als der Wagen in Nullkommanichts offen, der Motor angesprungen, die ersten Kilometer Richtung Uelzen gefahren waren. Er stellte das Radio an, war vergnügt, einfach so.
Was ist eigentlich an einem Bankraub gefährlich? Antwort: Die Fahrt zur Bank. Diesen Witz dachte er sich, als ihn wieder einmal ein einheim i scher Pilot in einer Kurve gefährlich schnitt. Marie hatte ihn schon am Anfang ih rer Beziehung gewarnt: „D ie fahren hier wie Sau!“
Pierre überlegte, was er bei einem Unfall tun würde ... Natürlich weite r fahren! Bei seinen Vorstrafen, in einem geklauten Wagen, ohne Pappe, das gäbe ruckzuck achtzehn Monate. Und w as gäbe es für den Bankübe r fall?
In Uelzen parkte er den Wagen auf dem Kundenparkplatz der Bank. Ohne weiteres Zögern zog er im Bankeingang die Sturmhaube über, hatte die Waffe in der Hand, betrat die Bank. Von innen versperrte er die Tür mit einem Fahrradschloss, pappte den mitgebrachten Zettel an die Auße n scheibe: „Wegen Rohrbruch vorübergehend geschlossen.“
„Überfall!“, rief er, im Raum stehend und schoss aus der Hüfte die D e ckenkamera aus der Halterung. Plastik schmorte, Putz brach, Funken sprühten, ein chinesisches Neujahrsfest im Geldtempel Uelzen.
„Alles auf den Boden , ruckzuck !“
Als die fünf Bankkunden lagen, mehr oder weniger auf dem Bauch, die Hände vor den Augen, wie er befohlen hatte, lief er auf den Tresen zu, die Plastiktüte in der Hand.
„Dass mir keiner auf dumme G edanken kommt!“ Und meinte mit ‚ dum me Gedanken’ den Alarmknopf und dessen Betätigung. Die drei hinter dem Schalter liegenden Bankangestellten nickten verstehend im Wackelelvistakt.
„Komm hoch“, befahl er einer von ihnen, einer ältlichen Frau. Meyer, las er auf einem Schild an deren Bluse, als die vor ihm stand.
„Vollmachen, Frau Meyer!“, befahl er, drückte ihr die Alditüte gegen die Brust. Die Tür zur Kassenbox stand offen. Die Frau beeilte sich und tütete doch in Ruhe, irgendwie gefasst, die Scheine ein.
„Die Münzen auch?“,
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