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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Augenblicklich brach wieder die Hölle los. Professorinnen, die zunächst brav wie die Schafe auf dem Weg in den Pferch gewesen waren, verloren plötzlich den Kopf und rannten mit den Studentinnen in die Dunkelheit. Miss Burrows schrie: «Die Bibliothek!» und riß sich los, und die Quästorin setzte ihr in ihrer Angst um das Collegeeigentum mit einem Aufschrei nach, so schnell sie konnte. Die Dekanin rief: «Haltet sie auf!» Und Miss Pyke und Miss Hillyard, die das Kommando auf sich bezogen, rannten los und wurden nicht mehr gesehen. In dem allgemeinen Durcheinander, das daraufhin einsetzte, ging jede noch mindestens zwanzigmal verloren; und bis dann schließlich die Sicherungen erneuert waren und alle wieder gesammelt und gezählt werden konnten, war sämtlicher Schaden schon angerichtet.
     
    Es ist erstaunlich, was man in ein paar Minuten alles machen kann. Harriet überlegte, daß der Speisesaal wahrscheinlich zuerst verwüstet worden war, denn er befand sich in einem abgesetzten Flügel, wo Lärm nicht so leicht Aufmerksamkeit erregen konnte. Alles, was dort veranstaltet worden war, konnte in wenigen Minuten geschehen sein. Vom Löschen der ersten Lichter im Tudor bis zu den letzten im Neuen Hof waren etwas weniger als zehn Minuten vergangen. Der dritte und längste Teil des Unternehmens – die Verwüstung der Zimmer in den verdunkelten Gebäuden – konnte zwischen einer viertel und einer halben Stunde gedauert haben.
     
    Die Rektorin hielt nach der Andacht eine Ansprache an das versammelte College, in der sie erneut Diskretion verlangte und die Schuldige bat, sich zu stellen, andernfalls alle denkbaren Maßnahmen ergriffen würden, um sie zu überführen.
    «Ich bin nicht gewillt», sagte Dr. Baring, «dem ganzen College für die Taten einer einzelnen verantwortungslosen Person Beschränkungen und Strafen aufzuerlegen. Ich möchte eine jede von Ihnen, die einen Vorschlag zu machen oder einen Hinweis in bezug auf die Identität dieser dummen Spaßmacherin zu geben hat, bitten, privat zur Dekanin oder zu mir zu kommen und uns in strenger Vertraulichkeit Mitteilung zu machen.»
    Sie fügte noch ein paar Worte über die Solidarität in einem College hinzu und entschwand mit gesetzter Miene und wehendem Talar.
    Die Glaser waren schon dabei, die zerbrochenen Fensterscheiben zu ersetzen. Im Speisesaal befestigte die Quästorin ordentliche Kärtchen an den Stellen, wo die Porträts gehangen hatten, deren Glas zu Bruch gegangen war: «Porträt Miss Matheson, Rektorin 1899 – 1912. Zum Restaurieren entfernt.» Vom Rasen des Alten Hofs wurden die Porzellanscherben aufgelesen. Das College war vollauf damit beschäftigt, nach außen heitere Gelassenheit zu demonstrieren.
     
    Es hob nicht gerade die allgemeine Stimmung, als kurz vor dem Mittagessen im Dozentenzimmer ein Blatt Papier mit den Blockbuchstaben «HA! HA!», gefolgt von einem vulgären Schimpfwort, quer über den Spiegel geklebt, entdeckt wurde. Der Raum war, soviel man wußte, ab neun Uhr morgens leer gewesen. Das Mädchen, das um die Mittagessenszeit mit den Kaffeetassen hineingegangen war, hatte den Zettel zuerst gesehen, und da war der Leim schon trocken gewesen. Die Quästorin, die nach der nächtlichen Aufregung ihren Leimtopf vermißt hatte, fand ihn mitten auf dem Kaminsims des Dozentenzimmers wieder.
     
    Dieser Vorfall bewirkte eine leichte Klimaveränderung im Dozentenzimmer. Die Zungen wurden spitzer; der Firnis der ruhigen Sachlichkeit wurde dünner; das Unbehagen gegenseitiger Verdächtigungen wurde fühlbar; nur Miss Lydgate und die Dekanin, deren Unschuld bewiesen war, blieben davon unberührt.
    «Ihr Pech scheint sich wiederholt zu haben, Miss Barton», bemerkte Miss Pyke bissig. «Sowohl bei der Bibliotheksaffäre wie auch jetzt bei diesem letzten Ausbruch waren Sie als erste am Tatort und wurden durch unglückliche Umstände gehindert, die Übeltäterin zu fassen.»
    «Ja», antwortete Miss Barton. «Das war großes Pech. Wenn demnächst auch noch mein Talar abhanden kommt, wird unser Collegespürhund anfangen, Unrat zu wittern.»
    «Wie unerfreulich für Sie, Mrs. Goodwin», sagte Miss Hillyard, «gerade jetzt, wo Sie etwas Ruhe gebraucht hätten, in einen solchen Trubel hineinzugeraten. Hoffentlich geht’s Ihrem Söhnchen etwas besser. Besonders ärgerlich ist das ja, weil wir in der ganzen Zeit Ihrer Abwesenheit keinerlei Störungen hier hatten.»
    «Ausgesprochen ärgerlich», antwortete Mrs. Goodwin. «Das arme Geschöpf, das

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