Aufruhr in Oxford
beschränken.
Neben solchen persönlichen Angriffen auf bestimmte Einzelpersonen erleben wir die Talarverbrennung und die sporadisch auftauchenden obszönen Wandschmierereien. Wenden wir uns nun der Verunstaltung der Bibliothek zu, so erkennen wir diese ungezielten Angriffe dort in spektakulärerer Form wieder. Der Zweck der Kampagne beginnt sich deutlicher herauszuschälen. Der Groll, den X hegt, hat sich von einer Einzelperson auf das gesamte College ausgedehnt, und ihre Absicht ist es, einen öffentlichen Skandal zu provozieren, der die ganze Institution in Verruf bringen könnte.»
Hier hob der Sprecher erstmals den Blick von den Blumen in der Vase, ließ ihn langsam über die Tischrunde wandern und schließlich auf dem gespannten Gesicht der Rektorin verweilen.
«Erlauben Sie mir, an dieser Stelle zu sagen, daß es der bemerkenswerte Zusammenhalt und Gemeinsinn dieser Collegegemeinschaft in ihrer Gesamtheit war, was diesen Plan von Anfang bis Ende durchkreuzt hat. Ich glaube, mit diesem Hindernis hatte X in einer Frauengemeinschaft zuletzt gerechnet. Nichts als die außerordentliche Loyalität des Kollegiums gegenüber dem College und die Achtung der Studentinnen gegenüber dem Kollegium bewahrte Sie vor einem höchst unerfreulichen öffentlichen Aufsehen. Es ist schiere Anmaßung meinerseits, Ihnen zu sagen, was Sie alle schon viel besser wissen als ich; aber ich sage es nicht nur zu meiner eigenen Genugtuung, sondern weil gerade diese Art von Loyalität sowohl der psychologische Anlaß für die Angriffe wie zugleich der einzig mögliche Schutz dagegen war.»
«Danke», sagte die Rektorin. «Ich bin sicher, daß wir alle das zu schätzen wissen.»
«Wir kommen als nächstes», fuhr Wimsey, den Blick wieder auf den Ringelblumen, fort, «zu dem Zwischenfall mit der Puppe in der Kapelle. Darin wiederholt sich lediglich das Thema der ersten Zeichnungen, nur mit mehr Sinn für dramatische Effekte. Seine offenkundige Bedeutung liegt in dem Harpyien-Zitat, das an die Puppe geheftet war, in dem geheimnisvollen Auftauchen eines schwarzen, gemusterten Kleides, das niemand identifizieren konnte, in der späteren Verhaftung des ehemaligen Pförtners Jukes wegen Diebstahls und dem Fund einer zerschnippelten Zeitung in Miss de Vines Zimmer, der diese Ereignisfolge abschloß. Ich komme auf diese Punkte später zurück.
Ungefähr um diese Zeit lernte Miss Vane meinen Neffen Saint-George kennen, und er erwähnte ihr gegenüber, daß er einmal – unter gewissen Umständen, die wir vielleicht nicht näher zu untersuchen brauchen – nachts einer geheimnisvollen Frau in Ihrem Dozentengarten begegnet ist und sie ihm zweierlei gesagt hat: Erstens, daß man am Shrewsbury College schöne junge Männer wie ihn ermorde und ihr Herz auffresse; zweitens, daß ‹der andere auch blond gewesen› sei.»
Diese Mitteilung war den meisten Kollegiumsmitgliedern neu und sorgte für gelindes Aufsehen.
«Hier haben wir das ‹Mord-Motiv› deutlich unterstrichen, zusammen mit einem kleinen Hinweis auf das Opfer. Es ist ein Mann, blond, gutaussehend und verhältnismäßig jung. Mein Neffe hat seinerzeit gemeint, er traue sich nicht zu, die Frau wiederzuerkennen; aber bei einer späteren Gelegenheit hat er sie gesehen und doch wiedererkannt.»
Wieder machte sich rings um den Tisch Erregung bemerkbar.
«Das nächste bedeutende Ereignis war der Fall der verschwundenen Sicherungen.»
Hier konnte die Dekanin nicht länger an sich halten und platzte heraus:
«Was für ein aufregender Titel für einen Kriminalroman!»
Sofort hob sich der verschleierte Blick, und in den Augenwinkeln erschienen die Lachfältchen.
«Hervorragend. Und mehr war es auch nicht. X zog sich zurück, nachdem sie nichts als einen kleinen Nervenkitzel mit gutem Werbeeffekt bewerkstelligt hatte.»
«Und erst danach » , sagte Miss de Vine, «wurde die Zeitung in meinem Zimmer gefunden.»
«Richtig», sagte Wimsey. «Ich habe die Ereignisse im Sinnzusammenhang, nicht chronologisch geordnet … Damit kommen wir zum Ende des Frühjahrstrimesters. In den Ferien gab es keine Zwischenfälle. Im Sommertrimester bekommen wir es mit einer auf kumulative Wirkung angelegten langen, infamen Kampagne gegen eine Studentin von sensibler Konstitution zu tun. Das war bis dahin die gefährlichste Phase der Aktivitäten von X. Wir wissen, daß außer Miss Newland auch noch andere Studentinnen Briefe bekommen haben, in denen ihnen alles Schlechte fürs Examen gewünscht wurde. Zum Glück
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