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Aufruhr in Oxford

Aufruhr in Oxford

Titel: Aufruhr in Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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das Buch vom Regal genommen und auf den Tisch gelegt, und sie glaube, wenn dort die Bögen gelegen hätten, könnte ihr das nicht entgangen sein. Diese Studentin war eine Miss Waters, die im zweiten Jahr Französisch studierte und eine Schülerin von Miss Shaw war.
    Eine gewisse Peinlichkeit wurde von der Quästorin in die Situation gebracht, die gesehen hatte, wie Miss Hillyard am Montagmorgen kurz vor der Andacht offenbar ins Dozentenzimmer gegangen war. Miss Hillyard erklärte, sie sei nur bis zur Tür gegangen, weil sie ihren Talar dort liegen gelassen zu haben glaubte; ihr sei dann aber im letzten Moment eingefallen, daß sie ihn im Queen-Elizabeth-Bau in die Garderobe gehängt habe, und daraufhin sei sie sofort wieder hinausgegangen, ohne den Raum überhaupt betreten zu haben. Sie fragte zornig, ob die Quästorin sie etwa verdächtige, den Schaden selbst angerichtet zu haben. Miss Stevens sagte: «Natürlich nicht, aber wenn Miss Hillyard hineingegangen wäre, könnte sie gesehen haben, ob die Bögen da schon im Zimmer waren, und somit wenigstens für diese Seite der Nachforschungen einen terminus a quo oder ad quem liefern.»
    Das war wirklich schon alles, was an materiellen Indizien vorlag, nur noch, daß aus dem Büro Miss Allisons, der Geschäftsführerin und Schatzmeisterin des College, eine große Flasche Kopiertinte verschwunden war. Die Schatzmeisterin hatte keine Gelegenheit gehabt, am Samstagnachmittag oder Sonntag ihr Büro zu betreten; sie konnte nur sagen, daß die Flasche am Samstagmittag um ein Uhr an ihrem gewohnten Platz gestanden habe. Sie schließe die Tür zu ihrem Büro nie ab, da sich kein Geld darin befinde und alle wichtigen Unterlagen im Safe lägen. Ihre Assistentin wohnte nicht im College und war übers ganze Wochenende nicht dagewesen.
    Sonst hatte sich nichts mehr von Bedeutung getan, außer einer Serie von unschönen Wandschmierereien in Korridoren und Toiletten, aber da man diese Inschriften natürlich jedesmal sofort ausgelöscht hatte, waren sie jetzt nicht zu besichtigen.
    Selbstverständlich hatte man vom Abhandenkommen und der anschließenden Verstümmelung des Lydgateschen Werkes auch offiziell Kenntnis nehmen müssen. Die Rektorin hatte sich in einer Ansprache an das gesamte College gewandt und gefragt, ob jemand einen Hinweis geben könne. Niemand wußte aber etwas, und dann hatte Dr. Baring davor gewarnt, die Angelegenheit außerhalb des College bekannt werden zu lassen, sowie darauf hingewiesen, daß jeder mit schweren disziplinarischen Maßnahmen zu rechnen habe, der irgendwelche Indiskretionen an die Universitätszeitungen oder in die Tagespresse gelangen lasse. Behutsame Nachforschungen in anderen Frauencolleges hatten mit einiger Sicherheit ergeben, daß die Ausschreitungen bisher aufs Shrewsbury College beschränkt geblieben waren.
    Da außerdem bisher nichts ans Licht gekommen war, was für ein Ausbrechen der Plage vor dem letzten Oktober gesprochen hätte, richtete der Verdacht sich ganz von selbst gegen die Studienanfängerinnen des letzten Jahres, und als die Rektorin bei ihren Darlegungen an diesem Punkt angelangt war, fühlte Harriet sich verpflichtet, etwas zu sagen.
    «Dr. Baring», sagte sie, «ich fürchte, ich muß die Studienanfängerinnen – und überhaupt die Mehrheit der Studentinnen – von der Verdächtigenliste streichen.»
    Und so erzählte sie mit einigem Unbehagen der Versammlung von den beiden anonymen Machwerken, die ihr selbst am Abend der Jahresfeier und danach in die Hände gelangt waren.
    «Ich danke Ihnen, Miss Vane», sagte die Rektorin, als Harriet geendet hatte. «Ich bedaure es außerordentlich, daß Sie so etwas Häßliches erleben mußten. Aber Ihre Mitteilung engt den Kreis natürlich sehr ein. Wenn der Missetäter jemand ist, der bei der Jahresfeier zugegen war, muß es entweder eine der wenigen Studentinnen sein, die wegen ihrer mündlichen Prüfung noch im College waren, oder eines der Hausmädchen, oder – eine von uns.»
    «Ja, so ist es leider.»
    Die Professorinnen sahen einander an.
    Dr. Baring fuhr fort: «Es kann natürlich keine von den Ehemaligen gewesen sein, da die Belästigungen in der Zwischenzeit weitergegangen sind; es kann auch niemand gewesen sein, der nicht zum College gehört, denn wir wissen, daß einige der Zettel den Empfängern bei Nacht unter die Tür geschoben wurden, ganz zu schweigen von den Schmierereien an den Wänden, die erwiesenermaßen jeweils zwischen Mitternacht und Morgen entstanden sein

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