Aufstand der Affen
die Eroberung und Ausbeutung von Kolonien und entwickelte dort Systeme der Kontraktarbeit, die sich nur wenig von Sklaverei unterschied. Als auch das nicht mehr ging, wich es in rückständige Länder mit niedrigen Löhnen aus, wo noch immer hohe Profite möglich waren. Doch in einer Zeit sozialer Umwälzungen hatten solche Lösungen keinen Bestand, und man mußte sich etwas ganz Neues einfallen lassen. Die Wissenschaft der Biogenetik, die in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gewaltige Fortschritte gemacht hatte, bot gerade zur rechten Zeit eine Lösung an, und das Ergebnis kannst du hier sehen.«
Cäsar nickte dumpf, aber er hörte kaum hin. Sein Verstand weigerte sich, die Ungeheuerlichkeit dessen, was seinen Artgenossen widerfahren war, als Realität zu akzeptieren.
»Natürlich gab es Widerstände gegen die Einführung der entwickelten Primaten«, fuhr Armando fort. »Auch in diesem Land wurden Gesetze erlassen und Verbote ausgesprochen, nicht zuletzt aus Angst, diese Entwicklung werde geradewegs in jene für die Menschheit verhängnisvolle Zukunft führen, aus der deine Eltern als Nachkommen dieser Arbeitssklaven kamen. Aber der Druck von Industrie und Geschäftswelt war zu stark, und die Verbote mußten fallen. Andere Staaten hatten das System eingeführt und drohten, mit niedrigeren Preisen den Weltmarkt zu erobern.« Er stand abrupt auf, riß an der Leine und fuhr Cäsar mit lauter Stimme an: »Komm jetzt!«
Sie eilten zu einem Ausgang auf der anderen Seite des kleinen Parks, fort von einem mißtrauisch blickenden Sicherheitspolizisten.
»Also«, sagte Armando, als sie wieder auf den belebten Platz hinausgingen, »jetzt weißt du, wie die Dinge stehen. Wenn es dich schockiert hat, laß es dir nicht anmerken, während wir die Handzettel austeilen.« Er lächelte breit und verneigte sich vor einem Passanten, der mit Frau und zwei Kindern daherkam: »Armandos Traditionszirkus, mein Herr. Unser Gastspiel in dieser Stadt beginnt jetzt – es wird Ihnen, der gnädigen Frau und den Kleinen viel Spaß machen.« Mit einer eleganten Handbewegung drückte er dem Mann ein Flugblatt in die Hand und trat zurück.
Cäsar bemühte sich, Armandos Anregung zu folgen, aber es war ihm nicht möglich. Alle paar Schritte sah er Artgenossen, die ungeahnten Demütigungen und Unwürdigkeiten unterworfen wurden.
Vor der Ladenzeile auf der Ostseite des Platzes begegneten sie zwei Uniformierten, die einen Gorilla abführten. Er war in Handschellen, und von einem eisernen Kragen führten Ketten zu den Händen seiner Bewacher.
Wegen des Gedränges konnten Armando und Cäsar nicht rechtzeitig zur Seite treten, und es gab einen Augenblick, da die beiden entwickelten Affen einander Auge in Auge gegenüberstanden. Cäsar bemühte sich verzweifelt, zu verstehen, was sein armer angeketteter Bruder empfand.
Einer der Bewacher zerrte an der Kette. »Nein, Aldo. Komm!«
Zu Cäsars Verwunderung trat ein ängstlicher Ausdruck in die Augen des Gefangenen, und der mächtige Körper des Gorillas schien sich zusammenzuziehen und kleiner zu werden.
Wie war das möglich? Der Befehl war nicht einmal in einem besonders strengen Ton ausgesprochen worden. Die Reaktion des Gorillas schien in jedem Fall übertrieben.
Armando hielt es für nötig, an Cäsars Leine zu zerren und »nein!« zu sagen. Cäsar verstand und duckte sich, als erwartete er einen Schlag auf den Kopf. Es war erniedrigend. Aber die Uniformierten verloren das Interesse an dem Schimpansen und zogen ihren stämmigen Gefangenen weiter.
Nach wenigen Schritten bemerkte Cäsar eine junge Schimpansin, die gerade eine Buchhandlung betrat. »Buchhandlungen sind immer gut«, bemerkte Armando und zog ihn mit sich in den Laden.
»Es gibt zwar nicht mehr viele Bücherleser auf dieser Welt, aber diejenigen, die noch lesen, sind häufig nostalgische Typen. Sie finden einen Zirkus unwiderstehlich.«
Hinter der Ladenkasse saß eine bebrillte Angestellte von vielleicht dreißig Jahren und beschäftigte sich mißmutig mit einer Kartei. Hinter ihr und ein wenig auf der Seite stand geduldig ein Orang-Utan in einem dunkelgrünen Arbeitsanzug. Die Schimpansin kam an den Ladentisch und wartete schweigend, bis die Frau aufblickte.
»Ja, Lisa?«
»Guten Tag«, sagte die Schimpansin mit etwas stockender Stimme. »Ich – ich soll ein Buch holen.« Sie zog einen Zettel aus der Jackentasche und hielt ihn der Angestellten hin. Die Frau las den Buchtitel ab und nickte. »Nur dieses eine? Mrs.
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