Aufstand der Alten
erzähle. Mit der Erinnerung ist es eben eine komische Sache. Hätte ich damals ein bißchen Verstand gehabt, hätte ich das dumme kleine Flittchen an Ort und Stelle aufs Kreuz gelegt, aber zu der Zeit war ich mit dem Leben noch nicht vertraut – vom Tod ganz zu schweigen! Trinken wir noch einen?«
»Danke, vielleicht komme ich später noch mal vorbei«, sagte Graubart. »Ich möchte mit jetzt den Jahrmarkt ansehen. Kennst du hier jemanden, der sich Bunny Jingadangelow nennt?«
»Jingadangelow? Ja, den kenne ich. Was willst du von ihm? Geh über die Brücke und weiter auf der Straße nach Ensham, dann kommst du an seiner Bude vorbei. ›Ewiges Leben‹ steht über dem Eingang.«
Graubart nickte Charley zu. Der stand auf, und sie gingen zusammen hinaus.
Sie schritten langsam die Straße entlang. Isaac japste und schnüffelte, als sie an einem Käfig mit Füchsen vorbeikamen. Am nächsten Verkaufsstand gab es Kisten voller Wiesel. Man verkaufte auch Hühner, und eine alte Frau versuchte ihnen ein Pulver aus Rentiergeweihen als Mittel gegen Impotenz und schlechte Gesundheit anzudrehen. Zwei rivalisierende Quacksalber priesen Klistiere und Abführmittel an, daneben Zauber gegen Rheumatismus und Geheimmedizin gegen Altersbeschwerden. Die wenigen Zuhörer schienen skeptisch. Um diese Abendstunde ließen die Geschäfte nach; die Leute waren nun auf Zerstreuung aus und wollten sich amüsieren. Ein Gaukler zog viele Neugierige an, desgleichen ein Wahrsager. Dann sahen sie den nächsten Stand. Es war nicht viel mehr als ein Zelt mit einer vorgebauten hölzernen Plattform. Darüber hing ein Transparent mit der Aufschrift EWIGES LEBEN.
»Das muß Jingadangelows Höhle sein«, sagte Graubart.
Mehrere Leute waren versammelt; einige lauschten einem Redner, der auf der Plattform stand, während andere eine gefallene Gestalt umdrängten, die an den Unterbau der Plattform gelehnt am Boden saß und von zwei alten Vetteln bejammert wurde. Im flackernden Licht der Fackeln war es schwierig zu sehen, was geschah, aber die Worte des Mannes auf der Plattform machten die Dinge klarer.
Der Redner war groß und hager, mit einer wilden Mähne und einem vollkommen weißen Gesicht, abgesehen von schiefergrauen Höhlen unter seinen glühenden Augen. Er sprach mit der Stimme eines kultivierten Mannes und mit einer Energie, der sein abgezehrter Körper kaum gewachsen schien. Heftige Gebärden seiner schmalen weißen Hände begleiteten seine Sätze.
»Hier vor uns sehen Sie den Beweis für das, was ich Ihnen, meine Freunde, sage. Vor unser aller Augen hat eben einer unserer Brüder sein Leben ausgehaucht. Seine Seele hat seine zerlumpte Hülle verlassen. Sehen wir uns an – ja, sehen wir uns an, meine geliebten Brüder und Schwestern, wie wir in unseren Lumpen dastehen, an diesem kalten und elenden Abend. Kann einer von Ihnen mit voller Überzeugung sagen, daß es nicht besser wäre, wenn wir unserem Freund folgten?«»Zum Teufel damit; Hauptsache, man hat seinen Spaß!« rief ein Mann und hob eine Flasche an den Mund. Er zog den anklagenden Finger des Sprechers auf sich.
»Für Sie mag es nicht besser sein, mein Freund, da stimme ich Ihnen zu – denn Sie würden, wie es Ihr Bruder hier tat, vom Schnaps betrunken vor den Herrn hintreten. Der Herr hat genug von unserem schmutzigen Unfug, Brüder; das ist die ungeschminkte Wahrheit. Er kann es nicht länger ertragen. Er hat mit uns gebrochen, aber nicht mit unseren Seelen. Aber auch diese wird er verwerfen, wenn wir bis an den Rand des Grabes den Sünden und Lastern anhängen, die wir schon in unserer Jugend hätten abschütteln sollen.«
»Wie soll man sich in diesen verdammten Winternächten warmhalten, wenn nicht mit Schnaps?« rief der Angetrunkene, und seinen Worten folgte zustimmendes Gemurmel. Graubart zog Charley am Ärmel.
»Der Mann ist nicht Bunny Jingadangelow, wenn er auch das ewige Leben verkündet«, sagte er. »Gehen wir.«
»Nein, laß uns noch ein bißchen zuhören, Graubart. Hier ist endlich einer, der die Wahrheit spricht. Wie viele Jahre ist es her, seit ich jemanden gehört habe, den anzuhören sich so lohnst?«
»Dann bleib hier. Ich gehe weiter.«
»Bleib da und höre, Algy – es wird dir guttun.«
Aber Graubart setzte seinen Spaziergang fort.
Schließlich wurde er eines neuen Banners ansichtig, das ewiges Leben verhieß. Dieses hing über einer Garage, die wie betrunken an einem verfallenen Haus lehnte. Die Torflügel waren abgefallen, aber man hatte sie mit
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