Aufstand der Alten
sei und ihre Häuser bedroht hätte. Nun wäre ihre alte Heimat vollständig überflutet.
In dieser Nacht erwachte Graubart vom Maschinengeräusch eines Dampfers. Er hielt es für eine Sinnestäuschung und blieb angespannt lauschend liegen. Dann hörte er es wieder, wie eine Botschaft aus einer versunkenen Zeit. Und das Geräusch schien sich zu nähern. Er weckte Charley, und zusammen gingen sie hinunter ans Ufer und horchten in die Stille hinaus.
»Tatsächlich, es muß eine Art Dampfer sein«, sagte Charley. »Aber warum auch nicht? Es müssen immer noch Kohlenhalden herumliegen.«
Das Maschinengeräusch wurde leiser und verging. Sie standen da, warteten, lauschten, spähten über das dunkle Wasser hinaus. Nichts geschah. Charley zuckte die Schultern und kehrte ins Zelt zurück, und nach einer Weile kroch auch Graubart wieder unter seine Decken.
Als er zum zweitenmal erwachte, war es hell, und Pitt rüttelte ihn. Der alte Mann hatte noch nicht gesprochen, da hörte Graubart schon das Stampfen der Schiffsmaschine.
»Nimm deine Knarre, Graubart, falls es Piraten sind«, sagte Pitt erregt. »Die Frauen sagen, das Schiff käme hierher.«
Graubart schlüpfte eilig in seine Hose und lief barfuß hinaus ins taunasse Gras. Dichter weißer Nebel lag über dem Wasser Martha und Charley standen in der Nähe der Boote; er lief zu ihnen und legte seine Hand auf Marthas Schulter. Die Hügel hinter ihnen waren durch die milchigen Schwaden nicht mehr zu sehen. Das Pochen der Maschine hatte die Frauen der religiösen Gemeinschaft munter gemacht, nacheinander tauchten sie aus dem diesigen Nichts auf und versammelten sich am Ufer, wo sie aufgeregt durcheinanderschnatterten.
»Der Meister kommt! Der Meister kommt!« schrien sie. »Gepriesen sei der Herr!«
Die Maschinengeräusche brachen ab. Kleine Wellen schlappten ans Ufer.
Ein Phantom von einem Flußdampfer nahm Form an und glitt lautlos näher. Er schien keine Substanz zu haben und nur in vagen Umrissen zu existieren, aber an Deck standen Leute und starrten bewegungslos herüber. Mehrere der alten Frauen am Ufer, die dazu noch in der Lage waren, ließen sich auf die arthritischen Knie nieder und kreischten: »Der Meister kommt, uns zu erretten!«
»Es müssen immer noch Kohlenlager vorhanden sein, wenn man weiß, wo man sie suchen muß«, sagte Graubart zu Martha. »Bergwerke sind bestimmt nicht mehr in Betrieb. Oder vielleicht feuern sie mit Holz. Wir sollten uns in acht nehmen, wenn es auch nicht nach feindseligen Absichten aussieht.«
»Jetzt weiß ich, wie es Wilden zumute ist, wenn die Missionare mit einer Ladung Bibeln kommen«, meinte Martha und lächelte. Sie richtete ihre Augen auf ein langes Spruchband, das an der Reling des Dampfers befestigt war und die große Aufschrift trug: BEREUT – DER MEISTER KOMMT! Darunter stand in kleinerer Schrift: Die Zweite Generation benötigt eure Gaben und Gebete. Wir bitten um Spenden zur Verbreitung des wahren Glaubens.
»Die Bibel scheint einen Preisanhänger zu haben«, bemerkte Graubart. Die Leute an Deck des Dampfers schoben ein Stück Reling zurück. Mit rasselnder Kette platschte ein Anker ins Wasser. Am Heck arbeiteten zwei Männer mit den Davits und ließen das Beiboot zu Wasser. Gleichzeitig wurde ein Lautsprecher in Betrieb genommen und begann nach einigem Kratzen und Krachen die versammelten Inselbewohnerinnen anzureden.
»Frauen von Wittenham Island, der Meister ruft euch! Er grüßt euch und ist geneigt, euch anzuhören. Aber diesmal wird er seinen heiligen Dampfer nicht verlassen. Wenn ihr ihn sprechen wollt, kommt an Bord. Wir schicken ein Boot an Land, um euch und eure Geschenke überzusetzen. Bedenkt, es kostet nur ein Dutzend Eier, um in seine Gegenwart zu kommen, und für ein Huhn dürft ihr mit ihm sprechen.«
Das Beiboot löste sich vom Dampfer und hielt auf das Ufer zu. Zwei Frauen mit krummen Rücken betätigten ächzend und hustend die Riemen. Sie kamen näher durch den Nebel und nahmen allmählich Gestalt an. Das Boot legte an, und sie stiegen schwerfällig aus.
Martha packte Graubarts Arm. »Erkennst du die Frau wieder? Die hintere, die jetzt ins Wasser spuckt?«
»Das – das kann nicht sein! Die sieht doch aus wie die alte – wie hieß sie nur?«
»Wir haben sie bei dem Jahrmarkt zurückgelassen – Becky! Natürlich, das ist Becky Thomas!«
Martha eilte vorwärts. Die Frauen der Insel drängelten, um ins Boot zu kommen. In ihren Schürzen oder in Körben trugen sie Lasten, vermutlich
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