Aufstand der Gerechten
fehlte, war der Erste, der zuschlug: Mit einem
Taschenmesser hieb er nach einem unserer Uniformierten. Sein Angriff und der
Protestschrei, der dem Kollegen daraufhin entfuhr, wirkten wie ein Katalysator
auf andere. Ich bemerkte, dass einige Polizisten sich ebenfalls erwartungsvoll
aufplusterten, als sie nach ihren Schlagstöcken griffen.
Der Junge mit dem Messer war der Erste, der einen Schlagstock zu
spüren bekam. Ein zweiter Uniformierter näherte sich ihm von der Seite, den Schlagstock
über den Kopf erhoben, und ließ ihn so wuchtig niederfahren, dass er dem Jungen
das Handgelenk gebrochen haben musste.
Plötzlich stürmte Armstrong vor, schwang das Brett und traf einen
Kollegen so heftig seitlich am Kopf, dass er zu Boden stürzte. Armstrong hob
den Fuß, um nachzutreten, doch mehrere Polizisten stürzten sich auf ihn und
rangen ihn nieder.
Ich drängte mich durch die Menge und rief meinen Männern zu, sie
sollten Irvine festnehmen und zu ihren Wagen zurückkehren. Ich sah erhobene
Fäuste, Füße und Schlagstöcke, ich hörte dumpfe Geräusche, wenn jemand
getroffen wurde, dazu das Grunzen von rund zwanzig Männern, deren Atem
stoßweise ging und Wölkchen in der kalten Luft erzeugte. Ich holte mein Handy
hervor und forderte auf der Wache Verstärkung an, dann stürzte ich mich mitten
ins Getümmel und versuchte, die hitzigeren Kollegen von den Männern, die sie
angriffen, zu trennen, letztlich vergeblich.
Irvine stürzte sich nun ebenfalls ins Handgemenge und krempelte die
Ärmel hoch, als bereitete er sich auf eine körperliche Arbeit vor. Ich rief die
beiden Uniformierten an, die mir am nächsten standen, und deutete auf Irvine.
Als wir drei auf ihn zugingen, drehte er sich, hob den Mikrofonständer und
schwang ihn drohend. Der jüngere der beiden Uniformierten zückte seinen Schlagstock,
ging auf Irvine zu und holte aus, obwohl Irvine selbst noch niemanden
angegriffen hatte. Ich sah Lichter aufblitzen und nahm zunächst an, es sei das
Blaulicht der Verstärkung, die ich angefordert hatte, doch dann entdeckte ich
Charlie Cunningham auf der Treppe, wo zuvor Irvine seine Rede gehalten hatte.
Er hielt eine Kamera in der Hand.
»Nicht!«, brüllte ich, doch es war zu spät. Der Kollege ließ den
Schlagstock auf Irvines kahlen Kopf niederfahren, und die Kopfhaut platzte.
Breit grinsend und mit ausgestreckten Armen wandte Irvine sich zu Cunningham
um, um sich fotografieren zu lassen, und trug das Blut an der linken Kopfseite
wie eine Auszeichnung. Dann prügelte ihn der Kollege, der ihn geschlagen hatte,
zu Boden.
Einige Stunden später wurde Irvine in einen der
Vernehmungsräume auf der Wache von Letterkenny geführt. Er hatte darauf
verzichtet, sich zunächst im General Hospital behandeln zu lassen, und sich die
Platzwunde am Kopf in einem Krankenwagen verpflastern lassen. Noch immer zog
sich getrocknetes Blut vom Scheitel bis zum Kinn. Er hatte seinen Rechtsanwalt,
Gerard Brown, angerufen, und der war auch prompt erschienen. Ich war Brown
schon viele Male begegnet, üblicherweise bei Vernehmungen der weniger
gesetzestreuen Einwohner des Grenzgebiets. Genau genommen war es praktisch ein
Eingeständnis von Schuld, wenn jemand sich von Brown vertreten ließ.
Irvine benötigte eigentlich gar keinen juristischen Rat; er war
eindeutig ein alter Hase, was polizeiliche Vernehmungen betraf, und kannte den
Ablauf aus dem Effeff. Er leugnete alles, sagte wenig und blickte das gesamte
Gespräch über gelangweilt drein. Er konnte sich nicht erinnern, wo er in der
Nacht, in der Kielty ermordet worden war, gewesen war, er besaß keinen weißen
Transporter und von Ian Hamill hatte er noch nie gehört.
Sobald Irvine über seine Rechte belehrt worden war, kündigte Brown
an, er werde Klage gegen den Polizisten einreichen, der seinen Mandanten
grundlos angegriffen habe und dabei fotografiert worden sei. Um seine Worte zu
unterstreichen, legte er das Foto auf den Tisch zwischen uns. In dem Tumult,
der auf den Übergriff gefolgt war, hatte ich ganz vergessen, Patterson zu
erzählen, dass Cunningham Fotos gemacht hatte. Kopfschüttelnd sah Patterson vom
Foto zu mir und wieder auf das Foto.
»Reichen Sie so viele Klagen ein, wie Sie wollen, Mr Brown. Ihr
Mandant hat vor Zeugen einen Mikrofonständer gegen einen meiner Polizisten
erhoben. Er hat in aller Öffentlichkeit zu Selbstjustiz und Gewalt gegen andere
Bürger aufgerufen.«
»Gegen Drogendealer«, berichtigte Brown ihn.
»Ihr täglich Brot, würde ich meinen«,
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