Aufstand der Maenner
Gewinn? Er, ein kleiner Mann aus Sidon, hat die reichste und mächtigste Frau auf Kreta völlig in seiner Hand. Auf Gnade und Ungnade. Bei der Ungnade ist er seines Lohnes gewiß. Er und seine Leute werden die Wollust der Macht genießen, wie sie ihnen noch niemals beschieden war und niemals mehr beschieden sein wird. Übt er jedoch Gnade . . . der Mann weiß, daß es keine Dankbarkeit gibt ... in diesem Fall will er sich sichern.«
»Durch diesen Burschen?«
»Gleichviel wodurch. Vielleicht auch durch eine Heirat...«
»Mit wem?«
»Mit dir natürlich.«
»Mutter!«
Sipha fühlte sich gar nicht mehr elend - so empört war sie, indes ihre Mutter völlig ungerührt blieb.
»Allerdings gedachte ich, uns mit dem Hause Arta zu verbinden. Du kennst doch Chet?«
»Ich bin neugierig, was für unmögliche Kerle du mir sonst noch ins Bett wünschst. Chet! Das dürftige Männlein . . .«
»Dem Chet würde es auch keine Freude sein, das kannst du glauben.«
»Mutter, du beschimpfst mich in einem fort. Und dann auch noch einen stinkigen Seemann. Hast du nicht bemerkt, wie unverschämt dieser Jokbed lachte, als das Ungeheuer von einem Jungen, dem ich dafür die Haut vom lebendigen Leibe schinden lassen möchte . . .«
». . . dich zu alt fand? Darüber mach dir keine Sorgen. Für Jokbed wärest du gerade die Richtige. Und wegen des Stinkens ist es auch nicht so schlimm. Laß ihn fleißig waschen, das vertreibt den Geruch.« Belit überlegte, ohne auf die wild hinausgeschluchzte Empörung ihrer Tochter zu achten. »Aber er wird nicht wollen«, sagte sie dann, »er liebt seine Freiheit sicher mehr als Besitz. Und wenn er sich Besitz wünscht, dann doch gewiß nur einen in seiner Stadt Sidon, um ihn dort mit den Ehren, die er ihm gäbe, und mit dem Neid seiner Mitbürger, die ihn haben aufwachsen sehen, zu genießen. Leute wie Jokbed erheben sich selten über die Umwelt, aus der sie stammen. - Das ist sehr schlimm, meine Liebe, und versuchen müssen wir es immerhin. Versuchen müssen wir alles. Eine Priesterin der Rhea darf nicht fernab vom mütterlichen Erdschoß im Meer versinken. Und du auch nicht«, fügte sie hinzu, »du bist mein Kind — kein gutes, aber meins.«
»Und daß du selbst auch Schuld hast, vergißt du. Alles kommt doch nur von diesen unheimlichen Tieren!«
»Von den Pferden? Sind sie dir unheimlich?«
»Ja.«
»Das freut mich.«
»Warum?«
»Was würdest du tun, wenn ein Pferd mit erhobenen Hufen dich ansprünge?«
»Was könnte ich tun? Fortlaufen vermutlich oder mich niederwerfen. Vielleicht würde es über mich hinwegsetzen, ohne mich zu treffen. - Du siehst also selbst, Mutter, was diese Tiere anzurichten vermögen, besonders wenn man bedenkt, daß zu ihrer Pflege noch solche Menschen wie Garp gebraucht werden!«
»Ich bedachte es und sehe, wie recht ich habe. Du hättest wirklich einmal an unsere Lage in Kreta denken sollen. Alt genug bist du.«
»Es macht dir offenbar die größte Freude, immer wieder von meinem Alter zu reden. So schrecklich alt bin ich gar nicht, und wie hätte ich wohl nicht an unser geliebtes Mutterland denken sollen? Oh, Mutter, ich möchte nicht unehrerbietig gegen dich sein. Ich weiß, daß ich dir nicht widersprechen dürfte. Aber manchmal graut mir, wenn ich mir überlege, wie wenig Mutterlandsliebe du besitzest! Ich glaube an unser ewiges Kreta, unser Kaphtor. Es ist die Welt. Die größte Macht, die größte Schönheit, der größte Reichtum finden sich bei uns. Die ganze übrige Welt, verglichen mit Knossos, ist eine Wüste. Nur auf Kreta kann man leben und auf Kreta nur in Knossos. Und jetzt, da es sich für uns um Leben oder Sterben handelt, sprichst du von meinem Alter?«
»Wir werden nicht sterben, Sipha, meine Stunde ist noch nicht da. Aber ich will mich nicht übereilen. Nachdenken will ich, auf welche Weise ich das Unheil von uns wende. Du wirfst mir Mangel an Mutterlandsliebe vor. Ist es Mangel an Liebe, wenn eine Mutter, die ihr Kind in Gefahr sieht, darauf sinnt, wie es zu schützen wäre? Du sagst, Kreta sei ewig? Ich wünschte es. Oh, du Närrin, ich wünsche nichts mehr, als daß es so sei. Kreta ist eine Pyramide. Die Spitze sind wir - eine sehr dünne Spitze.«
»Pyramiden ruhen fest auf ihrem Grund.«
»Aber nicht, wenn sie auf der Spitze stehen. Uns behagt unser Mutterland. Doch die Sklaven und Armen könnten bald finden, daß es sich in ihm zu leben nicht lohnt.«
»Die Sklaven! Die Gedanken meiner Sklaven gehören mir, und wenn ich eine
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