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Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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eingeschüchtert war, wurde von ihnen hartherzig und schändlich verhöhnt. Rang galt für Verstand; schon mit sechzehn Jahren hatten sie es auf eine fette Pfründe abgesehen. Natürlich mußte man vieles auf Dummheit und schlechtes Beispiel zurückführen, die sie in ihrer Kindheit und Jugend ununterbrochen umgeben hatten. Lasterhaft waren sie bis zur Ungeheuerlichkeit. Auch hier war manches nur äußerlich, manches gespielter Zynismus. Das Junge und eine gewisse Frische brachen auch bei ihnen durch all das Laster hindurch; aber selbst ihre Frische war abstoßend und äußerte sich als Angeberei. Ich haßte sie maßlos, obgleich ich womöglich noch schlechter war als sie. Sie zahlten mir mit derselben Münze heim und machten aus ihrem Ekel kein Hehl. Doch ich habe mir schon damals ihre Liebe nicht mehr gewünscht; im Gegenteil, ich trachtete nur danach, sie zu erniedrigen. Um mich von ihrem Spott zu befreien, begann ich möglichst eifrig zu lernen und gehörte bald zu den Besten. Das imponierte ihnen. Obendrein begannen sie allmählich zu begreifen, daß ich bereits Bücher las, die sie nicht lesen konnten, und daß ich schon Dinge (die nicht zu unserem speziellen Kursus gehörten) begriff, von denen sie nicht einmal etwas gehört hatten. Sie sahen mich verständnislos und höhnisch an, moralisch aber unterwarfen sie sich um so mehr, als sogar die Lehrer mich in dieser Beziehung bereits auszeichneten. Die Hänseleien hörten auf, doch die Feindseligkeit blieb, und es stellten sich kalte und gezwungene Beziehungen ein. Zu guter Letzt hielt ich es nicht mehr aus: mit den Jahren wuchs in mir das Bedürfnis nach Menschen, nach Freunden. Ich versuchte mich manchen zu nähern, aber stets waren die Beziehungen gekünstelt und gingen bald von selbst wieder ein. Einmal hatte ich sogar einen Freund, aber in meinem Herzen war ich schon ein Despot; ich wollte unbeschränkt über seine Seele herrschen; ich wollte ihm Verachtung für seine Umgebung einpflanzen; ich verlangte von ihm einen hochmütigen und endgültigen Bruch mit dieser Umgebung; ich erschreckte ihn mit meiner leidenschaftlichen Freundschaft. Ich brachte ihn bis zu Tränen, zu Krämpfen; er war eine naive und hingebungsvolle Seele, doch als er sich mir ganz ergeben hatte, begann ich ihn sofort zu hassen und verstieß ihn – ganz als ob ich ihn nur gebraucht hätte, um ihn zu besiegen, um ihn mir zu unterwerfen. Alle jedoch konnte ich nicht besiegen; mein Freund glich auch keinem einzigen unter ihnen und war eine seltene Ausnahme. Meine erste Tat nach dem Verlassen der Schule bestand darin, jene Laufbahn, für die ich vorgesehen war, sofort aufzugeben, um alle Fäden zu zerreißen, die Vergangenheit zu verfluchen und Staub und Asche darauf zu streuen … Und der Teufel mag wissen, weshalb ich mich nach all dem zu diesem Simonow schleppte! …
    Am nächsten Morgen wachte ich mit Schrecken auf und sprang aufgeregt aus dem Bett, ganz als ob das alles sofort beginnen müßte. Aber ich glaubte, daß noch am selben Tag ein radikaler Umbruch in meinem Leben eintreten, unbedingt eintreten werde. Vielleicht lag es an meiner Unerfahrenheit, aber mein ganzes Leben lang, bei jedem äußeren, wenn auch noch so geringfügigen Ereignis, schien es mir immer, daß auf der Stelle irgendein radikaler Umbruch in meinem Leben eintreten würde. Übrigens begab ich mich wie gewöhnlich in die Kanzlei, machte mich aber schon zwei Stunden früher als üblich davon, um mich zu Hause vorzubereiten. Die Hauptsache ist nur, dachte ich, daß ich nicht als erster erscheine, sonst wird man denken, ich freute mich allzusehr. Doch solcher Hauptsachen gab es Tausende, und sie alle regten mich bis zur Erschöpfung auf. Eigenhändig putzte ich mir noch einmal die Stiefel; Apollon hätte sie um nichts in der Welt zweimal am Tage geputzt, denn er fand, daß das gegen die Ordnung sei. Und so putzte ich sie denn selbst, nachdem ich mich mit der Bürste aus dem Flur davongestohlen hatte, damit er nichts merke und mich später nicht verachte. Darauf untersuchte ich meine Kleider und fand, daß alles alt, abgetragen, schäbig war. Ich war schlampig geworden. Die Vizeuniform war noch am ehesten in Ordnung, aber ich konnte doch nicht in Vizeuniform dinieren. Besonders schlimm war ein riesiger gelber Fleck auf der Hose, gerade auf dem Knie. Ich ahnte schon, daß allein dieser Fleck mich neun Zehntel meiner Würde kosten würde. Allerdings wußte ich auch, daß es unter meiner Würde war, so zu denken.

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