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Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers

Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers

Titel: Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hoëcker
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NEUNTE TAG
    Zwei Wochen später: Es ist geschehen. Als ich morgens aufwache, ahne ich noch nicht, wie sich das Ende dieses Tages anfühlen wird. Ich wundere mich schon, dass die Sonne später aufzugehen scheint, aber es sind nur die ersten Anzeichen des Schicksals, dassich anschickt, diesen Tag zu bestimmen. Schon beim Öffnen der Augen denke ich, irgendwie verläuft diese Bewegung heute schwerfälliger als die letzten Male. Außer am 30.   Juni 2006, da lag es aber an der durchfeierten Nacht, nachdem Deutschland ins Halbfinale der Fußball-WM gelangt war – das weiß ich noch genau. Genau genommen lag es auch nicht an der durchfeierten Nacht, sondern an der kleinen Plastikspitze einer wild durch die Gegend geschwungenen Fahne eines argentinischen Fans, der trotz der Niederlage seiner Mannschaft fröhlich war. Offenbar wollte er die Wahrheit nicht wahrhaben. Genauso wenig wie die Tatsache, dass sich die Fahnenspitze in meinem Auge verfangen hatte. Aber egal. Heute weiß ich gar nicht, was es sein kann.
    Ich stehe auf, ziehe die Vorhänge jedoch gleich wieder zu, um den tosenden Wind und seine Auswirkungen nicht wahrnehmen zu müssen. Ich schalte die Kaffeemaschine an, nur um festzustellen, dass die Sicherung schon wieder rausgeflogen, diesmal jedoch nicht zu retten ist.
    Unter der Dusche erfriere ich fast. Gerade noch rechtzeitig merke ich, dass es sinnlos ist, auf Warmwasser zu hoffen, da der Boiler im Keller den Geist aufgegeben hat, kurz nachdem sämtliche anderen Bewohner dieses Hauses bereits den Dreck der Nacht von sich spülen konnten und wie neu in den Tag gestartet sind.
    Ich setze mich im Arbeitszimmer an den Computer und befürchte schon, dass ich das gesamte Betriebssystem neu aufsetzen muss. Aber letztendlich wäre der Schlag in mein Gesicht zu einer Streicheleinheit verkommen, wenn dies geschehen wäre. Denn der große Schmerz, das alles übersteigende Leid steckt viel tiefer im System. Es bedarf der Hilfe des Computers, um mich vollends zu treffen, unvorbereitet, chancenlos.
    Ich will nur kurz überprüfen, ob die Auflösung der Aufnahme unseres Cachegebietes in Google Earth besser geworden ist. Einfach nur so, aus Neugierde und um etwas zu tun zu haben. Ich seheBonn, ich sehe das Waldgebiet, ich vergrößere den Ausschnitt, ich sehe – drei gelbe Punkte. Das sind Caches. Das sind drei Caches. Das sind drei Caches im Wald. Das sind drei Caches in DEM Wald, in dem ich unseren Cache legen wollte.
    Ich friere quasi vor der Tastatur ein, eine Hand noch auf der Maus. Eine halbe Ewigkeit vergeht. Ich werde mich nicht mehr erinnern können, aber vermutlich wird man die Maus aus meiner Hand herausoperieren müssen, weil meine ständig im Zellwachstum befindlichen Hautzellen 56 dieses elektronische Gebilde, das man als Hilfsmittel nutzt, das hier aber zum Folterinstrument verkommen ist, immer weiter zuwuchern werden.
    Irgendwann in der letzten Zeit hat jemand in unserem Territorium die Caches versteckt. Einer davon ist auch noch ein Nachtcache   … Damit ist der Wald voll. Noch einen Cache kann man da nicht unterbringen, die Stationen liegen dann einfach zu dicht beieinander.
    Seit Stunden verharre ich auf dem Bett und starre die Decke an. Die Sonne ist längst dabei, andere Teile der Erde zu erwärmen, während das sonst so schöne Vollmondlicht für mich nichts weiter als Kälte ausstrahlt. Kälte, die wie eine überirdische Kraft Bahnen quer durch meinen Körper zieht und mir jede Energie raubt. Kann es ein Morgen nach solch einem Heute geben?
    DER SECHZEHNTE TAG
    Irgendwann später, Zeit spielt keine Rolle mehr: Ja, genau. Richtig gelesen: der sechzehnte (in Zahlen: 16.) Tag. All die Tage dazwischen waren von öder Leere geprägt. Ich hätte natürlich jeden einzelnen von ihnen beschreiben können, aber es hätte immer gleich geklungen: Schon wieder ein neuer Tag, doch irgendwann war er endlich vorbei.
    Dann, endlich, eine freudige Botschaft. Eine E-Mail von Micha. Er ist ja so stark, so tapfer. Er geht so positiv mit der Situation um. Jetzt versucht er, mich aufzumuntern. «Wie wäre es denn hiermit?», fragt er und schlägt mir ein kleines Wäldchen zwischen Köln und Bonn vor.
    Hoffnung keimt in mir auf. Wir werden es uns mal ansehen.
    DER SIEBZEHNTE TAG
    Heute ist es endlich so weit. Wir fahren zu diesem kleinen Stück Forst und drehen eine Runde. Zuerst entwickeln wir nur ganz zaghaft neue Ideen. «Wie wäre es an dieser Stelle mit einer Plakette?», oder: «Lassen wir sie doch hier nach einem

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