Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers
vergessen habe, wie aus dem Nebel neben mir auf und fragt: «Gehen wir?»
«Ja.»
Micha entscheidet sich für die Höhe eines bestimmten Baumes.Das ist das Einzige, was jetzt herausgefunden werden muss. Während er den Wert aufschreibt, drehe ich mich um und entferne mich ein paar Schritte von den Tafeln, um zu überlegen, wie es weitergehen könnte. Da fallen mir auf einmal vier verschiedene Wege auf, die in unterschiedliche Richtungen vom Grillplatz abgehen. Mich durchzuckt ein Geistesblitz, und ich rufe spontan: «Nenn mich Gott!»
Der erschrockene Micha beruhigt erst einmal zwei den Grillplatz kreuzende Wanderer und erklärt ihnen, dass ich nicht bescheuert bin, zumindest nicht immer. Das ältere Ehepaar geht achselzuckend an uns vorbei und liest sich die Schautafeln durch.
Jetzt erzähle ich Micha von meiner Idee: An den vier verschiedenen Wegen befestigen wir jeweils unterschiedlich viele Reflektoren. Die Cacher müssen dann den Weg mit einer bestimmten Anzahl Reflektoren finden. Ja, das ist gut. Ich bin begeistert, Micha notiert etwas. Zu meiner grenzenlosen Enttäuschung sehe ich, dass er nur eine Linie auf den Zettel malt, dann sagt er: «Tolle Idee, hier entlang!»
Wir nehmen einen der Wege bergab, durch eine hohle Gasse auf eine Spitzkehre zu, immer auf der Suche nach einer neuen Möglichkeit, eine Station zu erfinden. Wieder öffnet sich mir der Himmel, ein Strahl Eingebung durchfährt mich, und ich rufe erneut: «Nenn mich Gott!» Die beiden Wanderer, die offenbar mit der Lektüre der Infotafeln fertig sind und uns inzwischen eingeholt haben, überholen uns mit den Worten: «Sind Sie sicher?»
Wir schweigen. Ich, weil ich noch immer den Widerhall der kreativen, mich durchzuckenden Energie spüre, und Micha, weil es ihm peinlich ist.
Aber die Idee ist wirklich gut: Hier könnten wir die Cacher auffordern, zwei Punkte miteinander zu verbinden. Auf der daraus entstehenden Linie sollen sie dann einen Reflektor finden und dort den nächsten Hinweis suchen. Michael nickt respektvoll, zückt seinen Zettel und fügt seiner Schlangenlinie eine weitere hinzu.
Ganz so schlecht scheint er die Idee doch nicht zu finden, denn wir notieren an dieser Stelle die Koordinaten, laufen entlang einer gedachte Linie weiterhin bergab quer durch den Wald und direkt auf einen anderen Weg zu. Dort bestimmen wir die zweite Position. Jetzt müssen wir nur noch einen Platz finden, der auf dieser Linie liegt und sich eignet, um dort einen Hinweis zu deponieren. Tatsächlich entdecken wir bald einen Baum, der sich hervorragend eignet. Er ist breit und hat eine dicke Wurzel, die viele Möglichkeiten bietet, etwas zu verstecken.
«Das ist mal schön», sagt Micha, «hier können die Sucher später die Koordinaten der Stelle finden, an der es weitergeht.»
«Ja, zum Beispiel da auf dem Weg», ich zeige auf unsere Karte. «Das ist weit genug von hier entfernt, um nicht sofort erkennbar zu sein, aber auch wieder nah genug, damit die Cacher möglichst schnell weitermachen können.»
«Okay, nah versteh ich, aber warum soll das weit weg sein? Wie soll es denn weitergehen?»
«Mit Reflektoren. Einer gibt an, wo der Ausgangspunkt ist, und dann hängen wir an jeden zweiten Baum einen, sodass sich eine Linie quer durch die Dunkelheit ergibt. Die Aufgabe lautet dann: ‹Ab hier folge den Reflektoren.›»
Micha schweigt und sieht mich lange an, dann nimmt er mich in den Arm. «Bernhard», sagt er, «eigentlich mag ich dich sehr gerne. Außerdem gehen Gerüchte um, dass du ein netter Mensch wärest. Ich weiß, du magst Nachtcaches besonders gern, und ich weiß auch, dass die Reflektoren es dir angetan haben. Außerdem ist klar, dass das ein supertolles und wirklich schönes Erlebnis ist, wenn nachts auf einmal im dunklen Wald ein Lichtstrahl zurückgeworfen wird. Aber wenn der Wald nach Sonnenuntergang und bei eingeschalteter Taschenlampe so aussieht wie eine Start- und Landebahn bei Nacht von oben, könnte es durchaus sein, dass hier jemand ein bisschen zu sehr mit der Fähigkeit von glatten, gefärbtenOberflächen, auftreffendes Licht in gleicher Stärke zurückzuwerfen, gespielt und dabei leicht übertrieben hat.»
Ich schluchze, das war schließlich wirklich schön gesagt, und wir hocken uns einträchtig nebeneinander auf den Boden. Schließlich wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht und sage: «Trotzdem!»
Micha steht auf. Linie Nummer drei. Wir vollenden die angefangene Aufgabe, notieren den Punkt auf dem erreichten Waldweg
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