Auge des Mondes
Erinnerungen. Etwas, das atmet und lebt. Etwas, das ich anfassen, berühren und streicheln kann. Etwas zum Liebhaben. Etwas von dir …
Sie schrak zusammen. Nebenan war deutlich hörbar etwas zu Bruch gegangen. Sie ergriff eine Öllampe und lief hinüber. Die Katze duckte sich neben der Milchpfütze und blinzelte. Von den Wachteln waren nichts als zierliche, abgekaute Knorpelchen übrig geblieben.
Erleichterung breitete sich in Mina aus, dann warme, helle Freude.
»Kluges kleines Tier!«, sagte sie leise. »Hast deine Schälchen also schon gefunden. Ich wusste, dass du einen Weg ins Haus entdeckst. Soll ich noch mehr Milch holen?«
Die raue, rosige Zunge schnellte hervor, wieder und immer wieder. Im Nu war die verschüttete Milch auf dem Boden verschwunden.
Mina hielt sich ganz still, aus Angst, die Katze sonst gleich wieder zu verscheuchen. »Du bist jetzt schon zum dritten Mal hier«, sagte sie. »Soll das vielleicht heißen, dass du noch öfter kommen wirst?«
Bastet hatte sich auf die Hinterbeine gesetzt und begann sich genüsslich zu putzen. Sie bespeichelte die Vorderpfote und wusch damit Barthaare, Maul und Ohren, so gründlich, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt.
Unwillkürlich musste Mina lächeln. »Hab dich noch nicht einmal gefragt, ob du auch wirklich ein Weibchen bist«, sagte sie. »Sonst müssten wir uns ja einen neuen Namen für dich ausdenken!«
Die Katze hielt inne, schaute zu ihr hinauf und hielt den Kopf dabei leicht schräg, als könne sie gar nicht glauben, was sie da zu hören bekam.
»Verzeih, Bastet, verzeih! Das war eindeutig die dümmste aller meiner dummen Fragen. Du bist natürlich ein Weibchen. Kein Kater in ganz Kemet könnte einen so anmutigen Kopf haben!«
Sie hob die Lampe höher, um Bastet in Ruhe zu betrachten. Das Fell, auf das eine sichere Hand gleichmäßige schwarze Streifen gezeichnet hatte, besaß die Farbe von hellem Wüstensand. Auf der Stirn liefen die Linien in einer exakten Spitze zusammen. Die Schnauze erinnerte Mina an feinsten Rosengranit. Darunter sah man ein paar falbe Tupfer, die fast ins Weißliche spielten. Die grünen Augen wirkten, als seien sie sehr fein mit schwarzer Tinte umrahmt.
»Dich haben sie wenigstens noch nicht gefangen«, sagte Mina. »Du bist hier bei mir in Sicherheit, während die arme kleine Mau …« Sie hielt inne. »Hast du sie vielleicht irgendwo gesehen?«, fragte sie. »Kennst du sie? Mau ist graubraun mit schwarzen, leicht verwaschenen Schlieren, etwas pummelig und keine wirkliche Schönheit, ohne ihr zu nahe treten zu wollen, und sie hat ein schwarzes und ein braunes Ohr.«
Bastet gähnte herzhaft.
»In Ordnung«, sagte Mina. »Hab schon verstanden. Keine schwierigen Fragen mehr zu dieser nächtlichen Stunde.« Wieder erhielt sie einen aufmerksamen Blick. »Was mich betrifft, so werde ich jetzt schlafen gehen«, fuhr sie fort. »Morgen gibt es jede Menge zu tun, dazu muss ich frisch und ausgeruht sein.« Sie zögerte kurz, dann sprach sie aus, was sie sich am allermeisten wünschte: »Falls du mit willst - du weißt ja, wo das Bett steht.«
Sie verließ den Raum, ging ins Schlafzimmer und zwang sich, sich nicht umzusehen. Wenn die Katze nicht kommt, hat es auch etwas Gutes, versuchte sie sich einzureden. Dann bleibt mein Lager wenigstens frei von Ungeziefer. Aber es war ein schwacher Trost, den sie sich da vorsagte, und sie wusste es selber am allerbesten.
Kein Laut. Nicht eine Bewegung.
Mina lag eine ganze Weile auf dem Rücken, reglos, mit offenen Augen, wartend. Enttäuscht wollte sie sich schon zur Seite drehen, als ein leises Plopp am Fußende des Bettes ihr verriet, dass Bastet auch dieser Einladung gefolgt war.
drei
Zänkische Stimmen schnitten in Minas Schlaf, und sie musste nicht einmal die Augen öffnen, um zu wissen, dass nur die beiden es sein konnten. Irgendwann öffnete sie sie doch, weil diese Besucher ohnehin nicht weggehen würden, bevor sie mit ihnen gesprochen hatte, und weil es nun mal ihre Art war, Unangenehmes rasch hinter sich zu bringen.
Sie wusch sich blitzschnell, schlüpfte in das erstbeste Kleid, das ihr unterkam, und fuhr mit den Fingern durch die Haare. Von Bastet keine Spur, die schien längst wieder auf eigenen Katzenpfaden zu wandern. Zumindest etwas, dachte sie mit einer gewissen Erleichterung, wofür ich keine Erklärung liefern muss, wenngleich es mir auch neue Sorgen bereitet. Scheris angstvolle Seufzer klangen noch immer in ihr nach; sie war entschlossen, der Sache
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