Auge des Mondes
nachzugehen, schon im eigenen Interesse.
Sie ahnte, was sie zu hören bekommen würde, noch bevor sie das Zimmer betreten hatte, in dem die beiden auf sie warteten. Und es war genau so, wie sie befürchtet hatte.
»Ach, auch schon aufgestanden?« Rahotep schob im Sitzen seinen stattlichen Wanst noch ein Stück weiter nach vorn. Fett als fleischgewordener Ärger und Neid - man konnte beinahe auf diese Idee verfallen, wenn man ihn länger betrachtete. »Musst du beim Märchenerzählen jetzt schon Nachtschichten einlegen, oder treibst du dich nach deiner Arbeit« - er spuckte dieses Wort aus wie einen fauligen Kern - »neuerdings bis zum Morgengrauen in Spelunken herum?«
»Was willst du?«, sagte Mina. »Seid ihr wegen Ameni hier?«
»Siehst du, ich hab es dir doch gesagt, sie weiß etwas!« Wie eine Tarantel war Tama hochgeschossen. »Sie weiß etwas - und sagt uns nichts, uns, seinen Eltern!«
Mina schenkte sich einen Becher Wasser ein und leerte ihn durstig. Danach biss sie in einen der kleinen Mandelkuchen, die Iset aufgetragen hatte, lustlos und widerwillig, wie Mina sich lebhaft vorstellen konnte, weil die Alte die beiden nicht mochte. Haltlose Anwürfe auf nüchternen Magen waren mehr, als Mina heute vertragen konnte.
»Wie kann sie nur! Hast du das gesehen, Tep? Isst und trinkt in Seelenruhe, während unser Augenstern …«
Jetzt wurde es offenbar sogar Rahotep zu viel. »Nimm dich zusammen, Tama!«, herrschte er seine Frau an. »Mit deinem Gekreische und Geplärre machst du die Sache nur noch schlimmer. Was weißt du?«, wandte er sich an Mina. »Und keine Ausflüchte, sonst wirst du mich kennenlernen!«
»Nicht gerade sehr viel«, erwiderte sie wahrheitsgemäß. »Außer einem dummen Gerede von Sedi, der, wie wir alle wissen, den Mund oft ziemlich voll nimmt.« In knapper Form berichtete sie dann, was der Konkurrent ihr erzählt hatte.
Tamas Lippen öffneten sich und schlossen sich lautlos wieder. Auf ihrer Stirn lag ein dünner Schweißfilm. »Im Garten des Satrapen«, flüsterte sie schließlich. »Mein armer, armer Junge - und das nennst du Gerede?«
»Ist er noch immer nicht aufgetaucht?« Vielleicht konnte wenigstens Rahotep eine einigermaßen präzise Auskunft geben.
Er schüttelte den Kopf. »So lange war Ameni noch nie von zu Hause weg«, sagte er matt. »Und dann keine Nachricht, kein gar nichts!«
Das flaue Gefühl in Minas Magen verstärkte sich. Seit Tagen schon verließ es sie nicht mehr. Auch ihre Besucher waren deutlich gezeichnet. Rahotep rang so schwer nach Luft, dass man regelrecht Angst bekommen konnte, und Tama wirkte grau und elend wie eine halb verhungerte Wüstenmaus. Die beiden machten sich ernsthafte Sorgen, das war ihnen anzusehen. Sie liebten Ameni von ganzem Herzen, das wusste Mina, und sie verdienten Hilfe, so dreist und unmöglich sie sich auch aufführten.
Sie rang mit sich, dann überwand sie ihre Bedenken. Sie hatte Ameni versprochen zu schweigen. Sogar schwören hatte er sie lassen. Aber das betraf nur den Namen seiner Angebeteten. Außerdem hatte sich die Lage inzwischen drastisch verändert. Sie mussten das Wenige zusammentragen, was sie bislang wussten. Vielleicht zeigte sich ja dann ein Weg, der bislang im Dunkeln gelegen hatte.
»Ihr wisst, dass euer Sohn schwer verliebt ist?«, startete sie einen Versuch. »Könnte das nicht mit seinem Verschwinden zu tun haben?«
Tama wurde aschfahl. »Sie will uns umbringen, genau das hat sie vor!«, zischte sie. »Sie wagt es, von dieser … Person zu reden, dieser …« Wildes, verzweifeltes Kopfschütteln ersetzte die fehlenden Worte.
Rahoteps Miene war versteinert. »Jede, hab ich zu ihm gesagt«, brachte er gepresst hervor. »Wenn es denn unbedingt sein muss. Aber nicht diese. Nicht sie!«
»Was ist denn nur so furchtbar an ihr?« Mina stopfte sich aus lauter Unruhe einen weiteren kleinen Kuchen in den Mund. »Ist sie hässlich? Oder hat sie ein Gebrechen? Nein, das glaube ich nicht, denn sonst würde sie Ameni sicherlich nicht gefallen. Ich kenne doch seinen guten Geschmack! Vielleicht ist sie euch zu jung?«
Die beiden starrten sie wortlos an.
»Zu alt?«
Keine Antwort.
»Zu arm?«
Sie hätte ebenso zu zwei Steinsäulen reden können.
»Zu groß? Zu klein? Zu dick? Zu mager?«
Schon fiel ihr fast nichts mehr ein. »Zu klug? Zu dumm?«
Schweigen.
»Ist sie käuflich? Sie ist doch keine Hure, oder?«
Nicht einmal damit ließen sich die beiden zum Reden provozieren.
Mina versuchte, sich das Gespräch
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