Auge des Mondes
Guter Witz, den muss ich mir merken!«
Huy kam näher, so nah, dass er unwillkürlich zurückwich. Ein Zwerg, sogar im Vergleich mit mir, dachte er. Aber was für ein gefährlicher, giftiger Zwerg!
»Ich rede natürlich von den nächtlichen Fän…«
»Bist du wahnsinnig geworden?« Er holte aus, versetzte Huy einen harten Hieb zwischen die Schulterblätter, um ihn auf der Stelle zum Schweigen zu bringen.
Der grinste unbeeindruckt. »Wusste doch, wir verstehen uns.« Dreist und aufsässig starrte er ihn an. »Wann also kann ich anfangen? Gleich morgen? Morgen Abend? Das wäre mir am allerliebsten. Um ehrlich zu sein, mir sticht da nämlich schon länger ein bestimmtes Mädchen ins Auge. Du siehst, ich kann jeden Deben gebrauchen.«
Verzweifelt begann er zu überlegen. Jemand musste geredet haben, anders ließ sich diese verfahrene Situation nicht erklären. Was sollte er tun? Dieser zähe dürre Kerl vor ihm ließ sich nicht abschütteln. Und sie konnten Verstärkung brauchen, keiner wusste besser als er, wie bitter nötig sie jede Hand hatten. Aber durfte er diesem Huy jemals trauen? Und würde einer wie er nicht erst recht zu fragen beginnen, wenn er tatsächlich eingeweiht war?
Er dachte an die Worte des anderen, der niemals zu zweifeln schien, niemals zu zaudern. »Große Zeiten erfordern große Opfer«, hatte er gesagt. »Und wir sind mittendrin.«
Er zwinkerte, versuchte vergeblich, sich die bleischwere Müdigkeit aus den Augen zu reiben. Dann streckte er einen Arm aus und kniff Huy unsanft in die Backe.
»He, was soll das!« Der Hänfling wich argwöhnisch zurück. »Anfassen lass ich mich von keinem, kapiert? Auch von dir nicht!«
»Ordentlicher Bartwuchs«, sagte er. »Ich will es mit dir versuchen.«
Huy begann zu strahlen. »Und wo soll ich mich einfinden?«, fragte er begierig. »Wenn du willst, auch gerne glatt rasiert.«
»Warte zu Hause! Man wird dich abholen, sobald es dunkel ist. Dann erfährst du mehr.«
Sichtlich zufrieden trollte sich Huy zu seinen Ziegeln zurück.
»Eines noch!«, rief er ihm hinterher. »Brauchst dir den Bart ab jetzt nicht mehr zu schaben, verstanden?«
»Verstanden«, rief Huy zurück. »Alles klar. Weiß Bescheid!«
Eines allerdings weißt du noch nicht, dachte der Mann, als er zurück zu seiner Sänfte ging, die zur Sicherheit Abend für Abend an einem anderen Platz nahe der Nekropole wartete. Dass auch du nichts als ein Opfer bist - nicht anders als sie, deine Opfer, die bereits auf dich warten. Du wirst es bald begreifen.
Mina hatte es zu Hause nicht lange ausgehalten und war, ohne sich um Isets Murren zu kümmern, die etwas reichlich Unverschämtes über gewisse ruhelose Leute murmelte, die offenbar einen wilden Bienenschwarm im Hintern hätten, wieder hinausgelaufen. Sie war schon ein gutes Stück weit gekommen, als sie stehen blieb.
Zu Tama und Rahotep konnte und wollte sie nicht, bevor sie ihnen etwas Konkreteres sagen konnte. Unwillkürlich hatten sich ihre Füße aber längst selbstständig gemacht und den Weg zu Scheri eingeschlagen, einen Weg, den sie schon unzählige Male gegangen war. In früheren Zeiten waren sie unzertrennlich gewesen, beste Freundinnen, deren Männer zudem gemeinsam als Schreiber im Tempel arbeiteten, wenngleich der brummige, phlegmatische Bata nicht mit der hellen Klugheit und dem Ehrgeiz eines Chai hatte konkurrieren können und wollen. Anders als Minas toter Mann war Bata in all den Jahren niemals befördert worden, doch das schien ihm wenig auszumachen. Er war stolz auf seine tintengeschwärzten Schwielen an den Händen, hielt nicht viel von Überstunden und Extraaufgaben, sondern entspannte sich lieber bei Spiel und Bier.
Vielleicht hat er es besser gemacht, dachte Mina, trotz allem, was wir damals von ihm hielten. Sie ging an kleinen Läden und zur Straße offenen Handwerkerbetrieben vorbei, die sich allmählich für die Abendruhe rüsteten. Jedenfalls ist Bata noch am Leben, während Chai schon längst im Haus der Ewigkeit schläft.
Nach seinem Tod war das Verhältnis zu Scheri loser geworden, schließlich sogar ganz abgebrochen. Mina war anfangs zu tief in ihrer Trauer vergraben gewesen, um es zu bemerken. Sie spürte nur eine plötzliche unbegreifliche Kühle, eine jähe Distanz, die es früher nicht gegeben hatte. Die beiden haben ihr eigenes Leben, sagte sie sich, und wollen vielleicht nichts mit einer Witwe und ihrem Gram zu tun haben. Sie konnte es verstehen, auf eine Weise; anderseits tat es ihr so weh, dass
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