Auge des Mondes
hatte sie immer gepriesen, und selbst bei eingehender Betrachtung erschienen sie ihr unverändert. Am meisten Bedenken machte ihr die Haut an den Schenkeln, die ihr stumpfer vorkam, rauer als in früheren Tagen. Und der kleine Bauch, der nicht mehr weggehen wollte, auch wenn sie tagelang zu essen vergaß.
Ein leiser Wind brachte die Bäume zum Rascheln, und plötzlich spürte Mina eine zarte Berührung am Bein.
»Bastet!« Die Katze saß ganz still. Im Mondlicht hätte man sie für eine Steinskulptur halten können. »Zwei endlose Tage hab ich umsonst auf dich gewartet. Wo bist du denn nur gewesen, meine Kleine?«
Ein leises Miau war alles, was Mina als Antwort erhielt. Dann lief Bastet in Richtung Küchenhof, wohl ahnend, was da auf sie wartete.
Mina genoss jetzt das Wasser, das ihren Körper weich umspielte. Vielleicht wird Numi mich ja niemals nackt zu sehen bekommen, dachte sie, während ihr Herz das Gegenteil herbeisehnte. Und wenn doch, dann sollte er sich gefälligst von vornherein darauf einstellen, dass ich kein junges Mädchen mehr bin.
Die Verse kamen ihr wieder in den Sinn, die Chai ihr nach der Hochzeitsnacht ins Ohr geflüstert hatte, und nach langer Zeit zum ersten Mal hatte sie den Mut, sie halblaut vor sich hinzusprechen:
» Ich bin deine erste Schwester,
Ich bin für dich wie der Garten,
den ich gepflanzt habe mit Blumen
und allen süß duftenden Kräutern.
Schön ist der Kanal in ihm, den deine Hand gegraben hat,
wenn …«
Etwas Raues leckte an ihrer Schulter. Mina fuhr hoch aus ihrer sentimentalen Stimmung. Sie lachte, schob die Katze zur Seite.
»Ich bin doch keine Wasserschale, du kleiner Dummkopf! Nein, hör sofort auf damit - das kitzelt!«
Bastet zog sich zurück, als hätte sie jedes Wort verstanden. Und während das Tier am Teichrand erneut zur Statue erstarrte, spürte Mina, wie sich ihre innere Anspannung zu lösen begann.
Plötzlich setzte Bastet sich in Bewegung, sprang auf einen abgebrochenen Ast, den der gewissenhafte junge Gärtner übersehen haben musste, und begann ihre Krallen zu schärfen, hingebungsvoll und konzentriert, als gäbe es nichts Wichtigeres, was jetzt getan werden musste.
Mina sah ihr fasziniert zu. Die ersten Tränen kamen, aber es war kein verzweifeltes Weinen wie früher, das wehgetan und sie matt und unglücklich zurückgelassen hatte, sondern es waren gute Tränen, sanfte Tränen.
Weich fühlte sie sich. Sehnsuchtsvoll. Offen. Zu Neuem bereit.
ZWEITES BUCH SACHMET
sechs
Der Satrap war weder stattlich noch imposant, wie Mina es sich in ihrer Vorstellung ausgemalt hatte, sondern klein und ziemlich fett, und er hatte ein verschwiemeltes Gesicht, als sei er eben erst aus schweren Träumen erwacht. Er trug den hellen Schurz der Leute aus Kemet; auf seiner fleischigen, dicht behaarten Brust verlor sich ein Pektoral, eine zierlich gearbeitete Mondbarke aus Gold mit einem ovalen Karneol, leuchtend orangerot wie die letzten Strahlen der Sonne, bevor Ra allabendlich seine Nachtmeerfahrt antritt. Flirrende hellbraune Augen musterten Mina über stark gewölbten Jochbögen. Nichts war in ihnen zu lesen, weder Mitgefühl noch Interesse. Jetzt bereute sie, dass sie Numis Angebot, sie zu Aryandes zu begleiten, leichtsinnig abgelehnt und den Perser mit ein paar dürren Worten vor dem Palast zurückgelassen hatte.
»Ich muss allein mit ihm sprechen. Das wirst du sicherlich verstehen.«
»Du kennst ihn nicht, Mina!«, hatte er dagegengesetzt.
»Aryandes ist alles andere als leicht durchschaubar. Soll ich nicht lieber doch mitkommen?«
Nach einem kurzen Blick auf die Wachen, die ihr mehr Respekt einflößten, als ihr lieb war, schüttelte Mina dennoch den Kopf. Bevor Numi nicht deutlicher damit herauskam, was es mit dieser Newa auf sich hatte, verließ sie sich lieber auf sich selber.
»Bemüh dich nicht! Bislang bin ich auch ohne fremden Beistand ganz gut zurechtgekommen.«
Voreilig war sie gewesen, und töricht dazu, das merkte Mina nun, nachdem sie die schier endlosen Reihen der Wachen passiert hatte und schließlich im Audienzsaal des Satrapen angelangt war. Wie beruhigend wäre es jetzt gewesen, Numi ganz in der Nähe zu wissen, während dieser Fremde sie mit so starrer Miene betrachtete, als sei sie nichts anderes als ein lästiges Insekt.
»Du wolltest uns sprechen?« Seine Stimme war nasal und überraschend hoch. Wenigstens konnte er die Sprache Kemets, wenngleich es nicht gerade so klang, als verwende er sie sonderlich gerne.
»Habt tausendmal
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