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Auge des Mondes

Titel: Auge des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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dichtes braunes Haar verdeckte wie ein schimmernder Fächer halb ihr Gesicht. Amenis Hand ruhte auf ihrer linken Brust, die sich gleichmäßig hob und senkte, aber die Geste wirkte weder besitzergreifend noch erotisch, sondern nur beschützend. Ihre beiden Körper, im tiefsten Schlummer einander zugewandt, besaßen eine Aura von Frische und jugendlicher Unschuld, die Mina berührte.
    Die beiden gehören zusammen, dachte sie, als sie vorsichtig aus dem Bett stieg, um ihnen nach der Aufregung der vergangenen Nacht noch etwas Ruhe zu gönnen. Niemand soll sie jemals wieder trennen! Gemeinsam wollen sie ihr Leben verbringen - und ich werde alles dazu beitragen, was in meiner Macht steht, damit es ihnen auch gelingt.
    Sie schlang sich ein Tuch um und ging hinaus in den Garten. Vogelzwitschern war zu hören, die Pflanzen standen prall und kräftig im frühen Licht, und vom Küchenhof her ertönte Isets allmorgendliches Gescheppere mit Schüsseln und Töpfen. Für einen Augenblick schien alles vollkommen; ein neuer, leuchtender Tag war angebrochen, der nur Gutes verhieß. Im Vorbeigehen bog Mina suchend die Büsche auseinander. Vielleicht kam ja sogar im nächsten Moment Bastet ganz plötzlich aus einem Versteck geschossen, um sich über den frisch gefüllten Milchnapf herzumachen.
    Keine Katze nirgendwo, natürlich nicht. Bastet konnte nicht kommen - vielleicht sogar nie mehr.
    Mit einem Mal fiel die Schwere von gestern wieder auf sie herab. Chais versteckte Papyri mit dem dämonischen Plan, die verschwundenen Katzen, denen Schrecklichstes drohte - und nun auch noch Numi, der gefangen im Tempel saß, verdächtigt eines Verbrechens, das er nicht begangen hatte. Mina warf einen letzten wehmütigen Blick auf ihr kleines Paradies und ging ins Haus zurück.
    Wenig später war sie angezogen und auf dem Weg zum Tempel. Es war nicht einfach, so schnell voranzukommen, wie sie es sich gewünscht hätte, denn die Straßen waren bereits übervoll. Jetzt schien die ganze Stadt in der Hand der Frauen zu sein, deren fiebrige Vorfreude auf das Große Fest sich in den Gesichtern widerspiegelte. Viele waren festlich gewandet, parfümiert und geölt, und der Schwall verschiedenster Gerüche, der von den erhitzten Körpern ausging, verband sich zu einem süßlichen, schweren Sog, dem man sich kaum entziehen konnte.
    Die Priester hatten die Tempeltore weit geöffnet, damit die Pilgerinnen ungehindert hindurchströmen konnten, und bevor Mina sich richtig versah, steckte sie mitten in der Menge. Sie versuchte dennoch sich nach allen Seiten umzusehen, um irgendwo Senmut auszumachen, musste aber bald feststellen, dass dies nahezu aussichtslos war. Weiter wurde sie getrieben, immer weiter, eingekeilt im dichten Meer der Leiber, das sich allerdings plötzlich zu teilen begann. Als Mina nach oben schaute, wusste sie, weshalb.
    Sachmet!
    Hoch über allen thronte sie, gemeißelt aus feinstem schwarzem Granit, mit einem Löwinnenhaupt in kalter, strenger Schönheit, das von der Sonnenscheibe gekrönt war. Das fröhliche Plappern und Lachen der Frauen war angesichts dieses majestätischen Anblicks abrupt verstummt. Beeindruckt, ja nahezu ängstlich lugten sie nun zu der riesenhaften Göttin empor, die die andere, die dunkle Seite von Bastet verkörperte.
    »Sie hält das Lebenszeichen in der Hand.« Eine junge Frau, beinahe noch ein Mädchen, fand als Erste ihre Stimme wieder. »Und mich hat sie damit bereits gesegnet.« Ihr schwangerer Leib, über dem das helle Kleid sich spannte, war unübersehbar.
    »Segne auch mich!«, rief die nächste Frau. »Ich bitte Dich von ganzem Herzen, Einzige, sei gnädig und erhöre mich! So lange warte ich schon vergeblich auf Deine Gunst.«
    »Ich auch, ich auch - bitte vergiss mich nicht!«
    »Segne uns alle, Herrin des Lebens, segne uns, Deine Dienerinnen!«
    Der Bann schien gebrochen. Furchtlos umrundeten die Frauen nun die schwarze Statue, küssten ihr die Füße und legten Geschenke vor ihr ab. Jetzt endlich gelang es Mina, sich abzusetzen. Abseits des Trubels hatte sie den mageren Priesterschüler entdeckt und winkte ihm zu. Er blieb stehen, bis sie bei ihm angelangt war.
    »Senmut?«, sagte er mit muffiger Miene. »Schon wieder?«
    »Senmut«, bekräftigte Mina. »Und mach schnell! Es ist noch dringender als sonst.«
    Dennoch verstrich einige Zeit, bis der Erste Sehende hinter einer neuerlichen Frauenschar auftauchte.
    »Du hast einen denkbar ungünstigen Zeitpunkt für deinen Besuch gewählt.« Seine Stimme war

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