Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand
wusste beim besten Willen keine Antwort auf die unerwartete Frage. Was hatte ich denn nur angestellt?
»Weißt du, wie du aussiehst, wenn du da so baumelst, kopfüber?«, bohrte sie weiter.
»Nein, das weiß ich nicht.«
»Na, dann will ich’s dir sagen: Wie ein Affe siehst du aus! Also untersteh dich, Mädchen! Wehe, ich sehe dich noch ein einziges Mal an diesem Turngerät hängen!«
Ich hielt mich an ihr Verbot und mühte mich redlich, eine brave Schülerin zu sein. So blieb ich eine Weile unbehelligt, bis eines Morgens beim Appell wieder einmal besonders genau kontrolliert wurde, ob wir Mädchen auch sauber und ordentlich waren: War die Schultasche aufgeräumt? Schaute auch kein Haar unter unserer Maghnae, der strengen schwarzen, offiziell üblichen Kombination aus Haube und Kopftuch, hervor? Waren die Hände sauber, die Fingernägel gepflegt?
Plötzlich befahl die Direktorin wie aus heiterem Himmel: »Ameneh, warte im Klassenzimmer auf mich.« Als meine Klassenlehrerin verwundert fragte, was denn vorgefallen sei, musste ich ihr die Antwort schuldig bleiben. Ich konnte ihr beim besten Willen keinen Grund nennen. Den lieferte mir alsbald die Direktorin. Sie trat dicht an mich heran, wischte mir unversehens und grob mit Daumen und Zeigefinger über ein Augenlid, wohl um zu prüfen, ob ich Wimperntusche aufgetragen hatte.
»Geh dir das Gesicht waschen!«, herrschte sie mich an. Doch auch beim Waschen kam keine Spur von Tusche zum Vorschein. Meine Beteuerungen, dass wir in der Familie alle von Natur aus dichte dunkle Wimpern und Augenbrauen hätten, halfen mir nicht. Die strenge Sittenwächterin bestellte schließlich meine Mutter ein.
Als sie am folgenden Tag in der Schule erschien, musste die Direktorin wohl einsehen, dass ich meine dichten Wimpern ganz offenbar von meiner Mutter geerbt hatte. Sie entschuldigte sich, ließ es sich aber nicht nehmen, uns ausdrücklich an die sittlichen Grundsätze der islamischen Republik zu erinnern. Es sei schließlich ihre Pflicht, darauf zu achten, dass in der Schule alles mit rechten Dingen zugehe.
Und schon wenig später stand ich beim Morgenappell erneut im Visier der Direktorin: »Ameneh, mach bitte deine Schultasche auf!« Aber mit dem Öffnen allein war es nicht getan – ich musste die Tasche auch ausräumen: Bücher, Stifte, Spitzer, Taschentücher. Die Direktorin entdeckte meine Geldbörse: »Öffnen!«, befahl sie in scharfem Ton. Ich klappte meine Geldbörse auf, dachte an nichts Böses und sah plötzlich in die blitzenden Augen der Direktorin: »Na, wen haben wir denn da!«, triumphierte sie. Ich erklärte ihr, dass es sich um ein Foto meines Vaters handele. Aber sie glaubte mir kein Wort, schien es im Gegenteil besser zu wissen: »So, so, der Papa, so jung, so hübsch … Na, dann fragen wir doch morgen gleich mal die Mama.« Und wieder musste meine Mutter in der Schule antreten. Da sie aber dasselbe Foto von meinem Vater in der Börse hatte, musste sich die Direktorin ein weiteres Mal entschuldigen.
Hatte sie gehofft, meine Mutter mit der Nachricht zu überraschen, dass ihr Töchterchen im zarten Alter von dreizehn Jahren bereits einen Freund hatte? Seit Neuestem war mir zwar an meiner Bushaltestelle ein Junge aufgefallen, der sehr gut aussah, aber ich war noch immer ein anständiges, braves Kind, das allenfalls im Stillen von einem Jungen schwärmte. Einmal – er schaute dem Bus nach, in den ich gestiegen war – trafen sich unsere Blicke, und mir stockte für Bruchteile von Sekunden der Atem. Noch heute, siebzehn Jahre später, ist mir dieser Augenblick lebhaft in Erinnerung. Doch was wusste ich damals schon vom Verliebtsein? Ich hatte ja meist nur Streiche im Kopf.
Meine Schwester Schirin aber hatte bald in Erfahrung gebracht, dass »er« Amir hieß, ein Sohn aus gutem Hause war und nicht allzu weit von uns entfernt wohnte. Ich war mir zu jener Zeit allerdings sicher, dass Amirs Aufmerksamkeit meiner älteren Schwester galt, die ja allmählich in das passende Alter kam. Er bat sie eines Tages sogar um ein Schulbuch, das er ihr bald zurückgeben wollte. Was das wohl zu bedeuten hatte? Für mich war Amir jedenfalls bald vergessen. Viel kniffliger war die Geschichte, die ich Mama würde beichten müssen und von der mein Vater auf keinen Fall Wind bekommen dürfte: Meine schlechten Noten für Diktat und Aufsatz hatten mir die Versetzung verbaut. Ich war untröstlich! Mir fehlte nur ein Viertelpunkt!
»Die Lehrerin hätte ihrem Herzen weiß Gott einen
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