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Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand

Titel: Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ameneh Bahrami
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Stoß geben können!«, weinte ich mich bei meiner Mutter aus. »Verstehe, die Lehrerin«, meinte meine Mutter dazu in bedeutungsvollem Ton, »dich trifft natürlich keinerlei Schuld, wie?«
    Ich nahm Nachhilfestunden und wollte fortan fleißiger sein, denn nicht nur der Schreck über die vermasselte Versetzung saß mir tief in den Knochen, es kam auch der Spott der anderen hinzu, die mich nun ungestraft Sitzenbleiberin nennen durften. Meine Mutter kaufte mir zum Trost neue Schulbücher, damit das neue »alte« Schuljahr nicht gar zu bitter schmeckte. Und weil mir Mathematik und Biologie viel leichter fielen als Aufsätze und Diktate, nahm ich eines Tages an einem stadtweiten Schulwettbewerb in Biologie teil.
    »Schau mal ans Schwarze Brett!«, rief mir eines Morgens eine Klassenkameradin zu, als sie mich auf den Schulhof kommen sah. »Oh nein, nicht schon wieder eine Rüge!«, schoss es mir durch den Kopf, während ich zum Lehrerzimmer lief.
    »Was habe ich wohl jetzt wieder verbrochen?«, fragte ich mich, als ich auf den Aushang starrte. Da stand mein Name, Bahrami, Ameneh, schwarz auf weiß. Ich hatte den Biologie-Wettbewerb für meine Schule gewonnen.
    Ich war überglücklich! Plötzlich konnte ich meine Schule mit anderen Augen sehen, fand sie fast schön, ins Licht der kühlen Morgensonne getaucht. Während die anderen Mädchen sich nach und nach zum Appell im Hof versammelten, wurde mir plötzlich klar: Ab heute würde ich nicht mehr unterwürfig durchs Schultor treten und ständig damit rechnen, dass man etwas an mir auszusetzen hätte. Ab heute konnte ich mit Stolz behaupten: Ich habe meiner Schule Ehre gemacht. Ein wunderbares Gefühl.
    Später dann gab es sogar eine öffentliche Preisverleihung. »Langsam, Ameneh, der Preis läuft dir nicht davon!«, hatte die Direktorin lächelnd zu mir gesagt, als ich nervös ans Mikrofon gestolpert war, um ein paar Worte an meine Mitschülerinnen zu richten. Mir saß zwar ein dicker Kloß im Hals vor Aufregung, doch ich brachte ein paar Sätze zustande. Ich bedankte mich bei allen, die mir geholfen hatten, mich auf den Wettbewerb vorzubereiten, und ich sagte vor allem, was mich stark motiviert hatte: Ich wollte auf keinen Fall länger Sitzenbleiberin heißen!
    Der Preis bedeutete mir damals unglaublich viel. Zu Hause angekommen, breitete ich vor lauter Freude meine Schulsachen eifrig im Wohnzimmer aus, statt mich in mein Zimmer zu verziehen. In mein Mathematikbuch vertieft, merkte ich leider viel zu spät, dass mein Vater mir plötzlich über die Schulter schaute.
    »Ameneh, was rechnest du da?«
    Ich schwieg.
    »Das sind doch Aufgaben aus dem vergangenen Schuljahr!«
    »Ich wiederhole bloß …«
    »Mit nagelneuen Büchern?«
    Wieder wusste ich keine Antwort.
    »Bist du wirklich sitzen geblieben?«
    Zutiefst enttäuscht, zog sich mein Vater in sein Lesezimmer zurück, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Ob unter seinen vielen Büchern auch eines war, das ihm jetzt verriet, was er bei der Erziehung seiner missratenen Tochter falsch gemacht hatte? Ich hätte mich ohrfeigen können. Erst hatte ich vor lauter Freude vergessen, dass mein Vater nicht wissen sollte, dass ich sitzen geblieben war, und dann wegen meines schlechten Gewissens auch noch versäumt, ihm von meinem Sieg in dem Wettbewerb zu berichten.
    Als meine Mutter von der Arbeit nach Hause kam, zeigte ich ihr meine Urkunde, und so war am Ende auch mein Vater wieder versöhnt. Zur Belohnung bekam ich endlich die schicken weißen Schuhe geschenkt, die ich mir schon so lange gewünscht hatte.

8. Augenstern – Die große Liebe
    Amir brachte Schirin tatsächlich bald das geliehene Schulbuch zurück. Sie ließ mich das Gedicht, das er zwischen den Seiten versteckt hatte, natürlich nicht freiwillig lesen. Ich musste also eine günstige Gelegenheit abwarten.
    »Ach, könnten deine Augen tief in meine schauen. Ach, könnte ich dir sagen ...«
    So in etwa lasen sich die Zeilen, aber genau weiß ich heute nicht mehr, was er ihr geschrieben hat. Jedenfalls schien es ihn ziemlich erwischt zu haben. Ich hätte damals mit dem Gedicht gut mein erstes Poesiealbum anlegen können.
    Er wollte sich sogar mit ihr treffen, ein Stück Schulweg gemeinsam gehen, möglichst unauffällig natürlich, damit kein Sittenwächter-Komitee auf sie beide aufmerksam würde. Die Moral- und Sittenwächter hatten peinlich genau darauf zu achten, dass nicht nur die Kleiderordnung der islamischen Republik eingehalten wurde, sondern auch, dass

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