Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand
im Tutorium: »Meine Antwort heißt Nein, und dabei bleibt es. Tamam, Schluss, aus! Das ist mein letztes Wort!«
Damit schien mein Schicksal besiegelt. Ich würde mutmaßlich unverheiratet bleiben, einen guten Job finden, meine Freunde um mich scharen und in aller Ruhe ein normales Leben genießen. Und das ginge auch ohne Mann und Kinder. Oder etwa nicht? Für mich schien das nicht die schlechteste Perspektive zu sein. Ich hatte ja nichts dagegen, jemanden zu finden, der zu mir passte, aber ich wollte es auch nicht erzwingen.
Meine Mutter indes versuchte, mich zu ködern: »Mit der Zeit findet ihr schon zueinander.«
Meinte sie damit etwa, ich solle mich doch für Madschid entscheiden? Das konnte nicht ihr Ernst sein! Wie auch immer, ich steckte zu Hause in einem Dilemma. Meine Mutter wollte mich nicht als alte Jungfer enden sehen, und ich wollte nicht, dass sie meinetwegen unglücklich war. Dennoch weiß ich bis heute nicht, welcher Teufel mich damals geritten hat, als ich ihr schließlich versprach, bis Ende jenes Jahres verheiratet zu sein.
Dschafar kam mir in den Sinn, der Boxer, der an der Fazilat-Schule seinen Abschluss mit Schwerpunkt Grafikdesign gemacht hatte. Damals hatte auch ich Grafikdesign belegt und ihn irgendwann kennengelernt. Ein netter Kerl, dieser Dschafar. Wir verstanden uns gut und hatten zu der Zeit beschlossen, es miteinander zu versuchen. Ich hatte die Hoffnung, dass das ständige Gerede über mich und die bohrenden Fragen, wann es denn endlich so weit sei, irgendwann aufhören würden. Ich erklärte Dschafar damals, dass er zwei Hürden überwinden müsste. Erstens meine Schwester Schirin, die schon am Telefon alles abwimmelte, was auch nur entfernt nach einem Anwärter für mich klang. Und zweitens meine Mutter, die jemanden für mich wollte, der auch meinem Vater und ihr gefiele.
»Leichte Übung«, meinte Dschafar damals, »das kriegen wir schon hin.«
Mein Bruder immerhin fand ihn auf Anhieb in Ordnung.
»Klar«, sagte Mohammad, »wenn du ihn liebst, warum nicht?« Dschafar wollte sich einen guten Job suchen und dann um meine Hand anhalten, zu Neujahr, im Frühling. Ein kleines Hindernis stand unserem Glück allerdings noch im Weg: Dschafar kam aus der Türkei, und seine Familie sprach kaum ein Wort Farsi. Wir zogen sogar kurz in Erwägung, in der Türkei zu heiraten, aber dann kam doch alles ganz anders.
Nur wenige Wochen vor dem Jahreswechsel meinte mein Vater plötzlich: »Ameneh, Kind, ich bitte dich von Herzen, bei deinem Leben, beim Leben deiner Mama, such dir einen Mann, der besser zu uns passt.«
»Ach, Dschafar, was meinst du?«, fragte ich daraufhin verzweifelt. »Sollen wir vielleicht doch in der Türkei heiraten?« Aber Dschafar ahnte wohl, dass es ohne den Segen meiner Familie keine tragfähige Zukunft für uns geben würde. Eine Hochzeit in der Türkei ohne meine Familie hätte unsere Ehe unter einem schlechten Stern beginnen lassen. Und Dschafar hatte wohl recht. Auch ich musste mir eingestehen, dass er am Ende nicht der Mann meiner Träume war. Ich hätte ihn geheiratet, weil er gut zu mir war und mich respektiert hatte. Und – weil ich endlich meine Ruhe haben wollte. Aber er war eindeutig mehr ein guter Freund als die große Liebe, und das hätte auf Dauer vermutlich nicht für eine lange, glückliche Ehe gereicht. Und so blieben wir das, was wir bis dahin auch waren: einfach nur gute Freunde.
Wenige Tage später rief meine Cousine Mahnaz aus Hamadan an: Der Bruder meiner Mutter, mein Onkel Da’i Haschem, war gestorben. Ich hatte ihn vor Tagen noch anrufen wollen. Und nun war es zu spät. Die Familie fuhr also nach Hamadan, zur Beerdigung. Ich durfte in der Universität nicht fehlen und blieb zurück in Teheran. Nur Tage später, an einem Sonntag, war ich nachmittags vor dem Fernseher eingeschlafen und hatte einen merkwürdigen Traum. Mein verstorbener Onkel wollte mich zu sich rufen.
»Komm mit, Ameneh!«, drängte er. »Schau dir an, wie wunderschön es hier ist.«
»Aber ich bin doch erst fünfundzwanzig. Ich will leben!«, rief ich ihm zu.
»Das kannst du hier auch. Bring deine Freunde einfach mit! Und wenn es dir hier nicht gefällt, kehrst du einfach nach Hause zurück!« Ich ging ein paar Schritte auf ihn zu – und dann fuhr ich zu ihm auf …
Inzwischen war es Juli geworden. Zu jener Zeit fing auch Madschid selbst damit an, bei mir zu Hause anzurufen. Das erste Telefongespräch mit ihm persönlich begann mit den Worten: »Ich bin der, den du ins
Weitere Kostenlose Bücher