Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand
ich spürte, dass meine Alterangabe diese Frau nicht gerade entzückte.
»Was? Vier Jahre älter als mein Sohn!«
Ich war fassungslos. War das hier etwa ein Viehmarkt? Dann hätte sich diese Frau doch besser nach einem Schaf erkundigen müssen. Ich beendete das Gespräch ohne ein Wort, knallte den Hörer auf und wollte nur noch meine Ruhe haben. Und die hatte ich für eine Weile, denn die lästigen Anrufe der aufdringlichen Mutter blieben während der folgenden Wochen tatsächlich aus.
Und doch schien uns das Pech weiter zu verfolgen. Meine Brüder Mohammad und Farhad waren mit Freunden für drei Tage in den Norden ans Kaspische Meer gefahren. Als Farhad anrief, nahm ich zunächst an, er wolle sich nur kurz melden, um uns mitzuteilen, dass alle gut angekommen seien. Stattdessen rang er mit tränenerstickter Stimme nach Worten. Ich konnte ihn kaum verstehen. Einzig »Katastrophe, Katastrophe!« war zwischen seinen Schluchzern herauszuhören.
»Mein Gott! Mach, dass es nicht wahr ist! Nicht das!«, betete ich stumm.
»Unfall. Alkohol. Minibus. Zwei Autos gerammt, Tote. Verletzte«, hörte ich Farhad stammeln.
»Wahay, Herr im Himmel, steh uns bei!«
Dann beruhigte er sich endlich und erzählte mit stockender Stimme, dass er, Mohammad und Dawud unverletzt davongekommen seien. Nicht jedoch ihre beiden Freunde. Abolfazl verlor durch den Unfall beide Arme, und Arash, der heute wieder sehen kann, bangte damals lange Zeit um sein Augenlicht.
Ein Leben ohne Arme? Und ohne zu sehen? Mir erschien das zu jener Zeit unvorstellbar.
Meinen Brüdern steckte der Schock noch in den Gliedern, als sie endlich wieder bei uns in Teheran vor der Tür standen – blass, verstört, die Kleider blutverkrustet. Irgendwann fiel mein Blick auf Mohammads Schuhe, die Flipflops, die ich so gerne mochte. Kurz bevor er losgefahren war, hatte ich ihm noch eingeschärft: »Wenn du ohne die Schlappen zurückkommst, drehe ich dir den Hals um!« Plötzlich wurde mir bewusst, wie grausam leichtfertig man so etwas dahinsagte! Mein Gott, Mohammad und Farhad – wie viele Schutzengel waren wohl mit euch unterwegs? Und für ihre Gesundheit hätte ich deutlich mehr geopfert als nur ein Paar bedeutungsloser Schuhe …
Zu allem Unglück meldete sich auch die fremde Frau am Telefon wieder. Sie rief an, um mir zu sagen, dass sie ihrem Sohn nicht ausreden könne, mich heiraten zu wollen.
»Er lässt sich nicht umstimmen.«
Ich beschloss, die Flucht nach vorne anzutreten: »Lassen Sie mich mit Madschids Vater sprechen. Der sieht hoffentlich ein, dass ich nicht zu seinem Sohn passe.«
Aber auch der Vater ließ sich nicht abwimmeln.
»Sie müssen einander privat kennenlernen«, forderte er.
Ich wusste sofort, dass ich mich um keinen Preis mit ihm einigen würde. Um aber meiner Mutter einen Gefallen zu tun, die mir seit diesen Anrufen, die mich nun seit Monaten quälten, ständig mit ihren Fragen in den Ohren lag, wie lange ich wohl noch alleine bleiben wolle, stimmte ich schließlich entnervt einem Treffen zu. Ich hatte keine Kraft mehr, mich dem länger zu widersetzen.
»Schau ihn dir wenigstens einmal an«, bat mich meine Mutter, und so wurde vereinbart, dass die Eltern dieses geheimnisvollen jungen Mannes uns im Frühjahr 2004, zu Neujahr, einen Besuch abstatteten.
Zu meiner Kollegin Mariam Rassulipanah sagte ich damals noch im Scherz: »Wer weiß, vielleicht ist er ja mein Traummann? Wenn er nur nicht so ungehobelt ist wie seine Mutter, hat er schon viel gewonnen!«
»Ach was, Traummann«, meinte Mariam, »du sagst doch ohnehin wieder Nein.«
»Das werden wir ja sehen …«, sagte ich wider besseres Wissen.
Eines Nachmittags, auf dem Heimweg von der Arbeit, lüftete meine Kollegin und Kommilitonin Nasrin endlich das Geheimnis um die Identität meines vermeintlichen Traummanns: »Ameneh, der Typ, dieser Madschid Mowahedi – du kennst ihn. Dass er sich ausgerechnet dich ausgeguckt hat … Das ist der mit der besonders dicken Brille und der immer nur das eine T-Shirt anhatte.«
»Was, der? Dieser schmierige Kerl. Ausgerechnet der! Meine Güte, der sieht doch zum Fürchten aus, mit seinen Augengläsern so dick wie Teeglasböden. Ich bin ja ein echter Glückspilz. Alle Leute kriegen elektrisches Licht, nur ich soll mich mit einer Petroleumlampe begnügen.«
Als seine Mutter wieder anrief, erklärte ich ihr, dass ich nun wisse, wer ihr Sohn sei, und keinerlei Interesse an ihm habe. Und zwar nicht nur wegen seines abscheulichen Annäherungsversuchs
Weitere Kostenlose Bücher