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Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand

Titel: Auge um Auge - Ein Verehrer schuettete mir Saeure ins Gesicht Jetzt liegt sein Schicksal in meiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ameneh Bahrami
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nicht untergegangen. Sie zeigt dir nur andere Wege als die, die du einschlagen wolltest. Du hast noch so viele Möglichkeiten, dich auf andere Gedanken zu bringen. Du musst lernen. Lerne singen, ein Instrument spielen, oder geh in einen Sprachkurs. Und vor allem, wenn du schneller vorankommen willst als bisher: Pack endlich das Thema Blindenstock an. Das Ding wird dein Leben verändern, hörst du!«
    Am Tag darauf geschah mal wieder eines dieser unerklärlichen Wunder: Ein anonymer Spender hatte mir Geld überwiesen. Einfach so. Meinem namenlosen Wohltäter hatte ich bald auch meine nächste Offenbarung zu verdanken, weil ich sein Geld nutzte, um bei Once, der spanischen Organisation für Blinde und Sehbehinderte, tatsächlich einen Blindenstock zu kaufen. Und eine sprechende Uhr. Die war mir eine große Hilfe. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte ich mir nicht anders zu helfen gewusst, als bei der örtlichen Polizei anzurufen, um nach der Uhrzeit zu fragen. Nun würde ich ihnen nicht länger auf die Nerven gehen müssen.
    Der Blindenstock aber blieb lange Zeit unbeachtet im Schrank. Ich lehnte ihn ab und sah ihn als ein weiteres Zeichen meiner Schwäche, weil er weithin offenbar machen würde, dass ich verletzlich war.
    Doch als ich mir eines Morgens endlich ein Herz fasste und die ersten Schritte mit dem Stock wagte, musste ich sofort einsehen, dass genau das Gegenteil geschah. Dr. Saburi hatte recht! Mit Stock ging ich sicherer, als ich gedacht hatte. Der Stock wies mir meinen Weg. Wenn ich das geahnt hätte! Mein Stolz und meine Eitelkeit hatten mir dieses überaus hilfreiche Werkzeug so lange vorenthalten. In den folgenden Tagen übte ich heimlich, sobald alle Studenten aus dem Haus waren. Und nur wenig später traute ich mich schon auf die Straße – obwohl man mir bei Once eingeschärft hatte, am Anfang auf keinen Fall mit dem Stock allein aus dem Haus zu gehen. Aber was blieb mir denn anderes übrig? Einen Lehrer konnte ich mir nicht leisten, und der Blindenstock tat mir gut. Mit ihm fasste ich sofort neuen Mut.
    Das spanische Sozialamt bewilligte uns inzwischen monatlich vierhundert Euro, drängte uns aber immer heftiger, das Studentenwohnheim zu verlassen. Wenn ich mich doch nur endlich auf meinen Heilungsprozess hätte konzentrieren können! Stattdessen musste ich meine Kräfte unablässig mit Behördengängen strapazieren. Natürlich war ich dem spanischen Staat unendlich dankbar, dass er mich – eine Iranerin, die nie einen Cent Steuern in dem fremden Land bezahlt hatte – finanziell unterstützte. Diese barmherzige Geste konnte ich gar nicht genug wertschätzen. Gleichwohl verletzten mich so manche unterschwelligen Vorwürfe aus den Behörden. Wenn angedeutet wurde, dass ich mir doch Arbeit suchen solle, oder wenn jemand mir indirekt vorwarf, ich sei eine Simulantin. Vielleicht war ich manchmal übersensibel und sah Unrecht, wo keines war, aber Simulationsverdacht?
    Mein gesamter Lebensplan war darauf ausgerichtet, ohne fremde Hilfe durchs Leben zu kommen. Ich wollte zu keiner Zeit anderen Menschen zur Last fallen – weder finanziell noch auf eine andere Weise. Doch wie hätte ich das nach diesem Verbrechen anstellen sollen? War es mein Vergehen, dass ich in dieser Lage steckte? Warum musste ich immer aufs Neue beweisen, dass ich unschuldig war an meiner ganzen vertrackten Lebenssituation?
    Auch die diplomatische Vertretung meines Landes war mir keine große Hilfe mehr. Im Gegenteil. Im IMO hatte man mir berichtet, dass Ärzte aus dem Iran angerufen hatten, um sich nach dem Verlauf meiner Krankheit zu erkundigen. Und um anzudeuten, dass meine Behandlung abzubrechen sei … Irgendwann hieß es dann, man könne mir einen größeren Betrag überweisen – allerdings nur in Form einer Kostenerstattung. Aber wie hätte ich Tausende von Euro für meine medizinische Behandlung vorstrecken können? Wenn ich das Geld gehabt hätte, wäre ich doch auf fremde Hilfe gar nie angewiesen gewesen. Ein Teufelskreis von vielen!
    An der Bushaltestelle bot mir ein Mann eines Abends an, mich über die Straße zu führen: »Kommen Sie, halten Sie sich an meinem Mantel fest.« Er bog in die falsche Richtung ab. Als ich ihn darauf aufmerksam machte, umklammerte er mich plötzlich und nuschelte etwas von »Vien, amor, hacer amor«, von Liebe machen, was mich sofort in helle Panik versetzte. Ich schrie nur: »Lass mich! ¡Déjame!« und war erleichtert, als eine Passantin mir zu Hilfe kam. »Sie schickt der Himmel!«, bedankte

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