Auge um Auge - Moonbow #1 (German Edition)
junge Frau mit in seinen Plan hineinzuziehen.
Seit gefühlten Tagen beobachtete er View – und seine gestohlene, einmalige Zeit lief unaufhaltsam ab.
View lag im Fieberwahn auf einem Lumpenhaufen, warf sich im Delirium hin und her oder schlief so reglos mit schwachem Puls, dass er glaubte, sie wäre gestorben. Die uralt wirkende Aussteigerin bemühte sich nach Kräften um View, doch das war bei Weitem nicht genug. Ein wenig Wasser, viel zu wenig, so sehr, wie View schwitzte, mal etwas Fleisch. Es war unfassbar, wie die Alte hauste, aber das bekam er nur am Rande mit.
Seine Gedanken kreisten immerzu um das Labor und View. Um die eine Woche, die er Zeit hatte, und die mit jeder Minute verstrich. Er befürchtete, jeden Augenblick die Rufe der Häscher zu hören oder das Klicken eines Gewehres, das durchgeladen wurde, bevor man das Versteck der Alten stürmte. Er wusste nicht viel über das Laboratorium, aber in einem war er sich todsicher: Max Mayderman würde sein Versuchskaninchen nicht einfach aufgeben. Er würde all seine Helfer auf die Suche schicken und all sein Geld in die Verfolgung stecken. View war zu wichtig, um sie zu verlieren. Nicht ohne Grund hatte sich Max so viel Mühe damit gegeben, ihre Erinnerungen verschwinden zu lassen. So ein Dreckskerl! Er konnte nur hoffen, dass View sie schnell wiedererlangte, obwohl es zweitrangig für seine Pläne war.
Er schluckte schwer, beobachtete, wie sich eine Schweißperle auf Views blasser Stirn bildete und an ihrem feuchten, dunklen Haaransatz in Zeitlupe entlangrann. Auf ihrer Schläfe kullerte sie schneller und tropfte ihr in die Ohrmuschel. Wie eine Träne.
Auch wenn alles ihn davonzog, um sein Ziel, seine Flucht zum Erfolg zu führen, so blieb er doch und betete ununterbrochen für die zierliche Frau, die zumindest vom Intellekt her noch ein Mädchen war. Wahrscheinlich hatten die Wissenschaftler sie absichtlich so manipuliert, dass sie sich in dem Alter wähnte, in dem sie entführt worden war. Mit dreizehn oder fünfzehn vielleicht. Wenn er sich ihren verschwitzten Körper nun so ansah, die Kleidung, die an ihr klebte wie eine zweite Haut, würde er auf volljährig tippen. Vier Jahre Gefangenschaft. Wie konnten Menschen nur so grausam sein?
Vielleicht war es sogar gut gewesen, View in dem Glauben zu lassen, freiwillig im Labor zu sein. Sie hatte sich wohlgefühlt, hatte sie gesagt. Er wusste nicht, was besser für einen jungen Geist, eine junge Seele war.
Die alte Frau kniete sich stöhnend vor dem Versteck nieder und kroch ins Innere des dichten, ausgehöhlten Gebüschs. Ihr Atem rasselte. Sie bohrte zwei Finger in Views Wangen und öffnete so den Mund. In Zac stieg unendliche Wut auf. Am liebsten hätte er der Alten ebenso brutal den dreckigen Mund aufgebogen. Sie holte einen nassen Lappen aus ihrem dreckstarrenden Gewand und wrang ihn über Views Zunge aus.
Mehr! Mehr, wollte er schreien. View brauchte dringend mehr zu trinken, doch die Alte hörte ihn nicht. Schiere Verzweiflung breitete sich in ihm aus. Es war seine Schuld, wenn View starb. Einzig und allein seine. View hätte niemals das Labor verlassen. Auch wenn er wusste, dass man sie dort nur benutzte und sie auf schlimmste Weise hinterging, so, wie sie es mit ihm getan hatten, wäre es ihr dort doch besser ergangen als jetzt hier. Sie durfte nicht sterben.
Allerdings würde ihm niemals wieder diese Art von Flucht gelingen. Er wusste, dass er nur eine Chance hatte und gleichzeitig war es eine Chance für View. Er hatte bemerkt, wie es in ihr anfing zu arbeiten, dass sie versuchte, sich zu erinnern, auch wenn es sie sicher schmerzte.
Damn! Wenn er doch nur etwas tun könnte. Er würde alles tun, sogar für sie zurück ins Labor gehen, wenn es ihr helfen würde. Doch das würde es nicht, da war er sich leider ebenso sicher.
Die Alte legte sich auf ihr Lager aus löchrigen Decken und trockenem Laub, zog sich die Kapuze über das Gesicht und begann augenblicklich zu schnarchen.
Er war so leichtsinnig mit Views Leben umgegangen. Er hätte ahnen müssen, dass sie sich sofort erkälten oder sich den Knöchel verknacksen würde. Wenn sie drei oder vier Jahre ausschließlich in dem sterilen Laborkomplex verbracht hatte und sicher nur mit hochwertigem Essen versorgt worden war, war es doch kein Wunder, dass ein einziger Insektenstich, die gesamte Tortur sie umwarf.
Views Lider flackerten, als träumte sie. Zumindest lag sie nicht mehr da wie tot. Er konnte nur hoffen, dass es ein schöner Traum
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