Auge um Auge - Moonbow #1 (German Edition)
hauchte View beinahe tonlos, weil Zac nichts sagte. »Ich suche den Ausgang. Hinten, also, zum Wandern, später.«
»Wandern? Fragen Sie am besten an der Rezeption nach, die können Ihnen die Wanderwege in dieser Gegend beschreiben.« Seine Tonlage schwankte zwischen antrainierter Höflichkeit den Gästen gegenüber und dem Unmut, einen Eindringling in seiner Küche zu erwischen. Außerdem klang er etwas verwirrt. Nun ja, sie trug einen Bademantel.
»Nicht wandern direkt … ähm, Pferde. Ja, die möchte ich füttern. Die sollen doch hinter dem Haus sein, sagte man mir.«
»Super Idee«, wisperte Zac.
»Aber doch nicht durch die Küche. Na, hier lang, bitte.«
»Okay. Danke sehr. Tut mir leid.« View huschte hinter Zac her, der ihr die Richtung zuflüsterte, bis eine schwere Metalltür den Duft nach Speck, Ei und Kaffee hinter ihnen abschnitt. Reine, frische Waldluft und Stille erfüllten den Hinterhof. Nur aus einem Dunstabzugsrohr drangen Essensgerüche mit leisem Klappern nach draußen.
»Weiter, zur Koppel.«
View tapste die steile Treppe hinab und überquerte einen Hof aus Kies. Die gedämpften Geräusche des Hotels in ihrem Rücken wurden von denen der Natur übertönt. Wind rauschte in den Wipfeln, Vögel trällerten und Grillen zirpten. Obwohl es so früh war, war es für einen dicken Bademantel bereits fast zu warm. Nach zwei weiteren Biegungen drang ihr endlich der heimische Geruch nach Wiese und Pferd in die Nase.
»Hier ist der Zaun. Man kann uns nicht sehen. Schütt mal den Rucksack aus.«
»Ja, du Sklaventreiber.«
»Willst du weiter im Bademan… «
»Nein, aber deine Antouchphobie nervt. Gewaltig. Du kannst auch mal was machen.«
»Und wenn du was sehen könntest, wären wir auch viel schneller.«
View biss die Zähne zusammen, klickte die Schnallen auf und tastete sich durch die Stoffe.
Zac schnaufte halb spöttisch, halb belustigt. »Badesachen. Perfekt.«
View riss rasch ein Stück nach dem anderen heraus und Zac kommentierte. Zum Glück befanden sich auch noch ein paar Sportklamotten im Rucksack. Rasch streifte sie die viel zu große Leggins unter dem Bademantel über und zog das T-Shirt über das dicke Frotteeteil.
»Super verkleidet. Von einer Luxus-Bade-Tussi zum Michelin-Männchen.«
»Was?«
» Egal, kannst du dich so überhaupt bewegen?«
View seufzte. Sie zog das Shirt wieder aus und drehte sich um. »Wehe, du guckst.«
»Würde ich nie wagen«, sagte er mit einem eigenartigen Unterton, den selbst sie nicht einzuordnen vermochte.
Sie öffnete den Bademantel, streifte sich rasch das weite T-Shirt über den nackten Oberkörper und band sich den Mantel mit den Ärmeln um die Taille. Das war schon besser.
»Fertig? Gut, lass die Sachen hier hinter dem Pfahl und komm.«
View folgte ihm. »Wohin?«
»War doch deine Idee. Zu den Pferden.«
»Kannst du reiten?« Das überraschte sie nun wirklich.
»Ja. Und du?«, fragte er.
»Keine Ahnung.«
»Na, dann los.«
Zum Glück konnte Zac sehen. Er lotste sie herum und ging dann, um am Rand der Koppel Schmiere zu stehen. Nicht, dass sie noch jemand beim Pferdestehlen erwischte. Nachdem View ein Pferd mit dem Seil vom Halfter an das des anderen gebunden hatte, damit sie sich nicht verloren, das Gatter geöffnet, die Tiere hinausgeführt und das Tor geschlossen hatte, stieß Zac wieder zu ihnen. Sie wichen sofort vom Schotterweg ab und verschwanden über einen schmalen Pfad im dichten Wald. Erst dort saßen sie auf und ritten los. Oft streiften sie Äste. Zac meinte, bei den vielen Hufabdrücken auf dem festen Sandweg könnten die Verfolger nicht wissen, welche ihre waren. Sie hatte da ihre Zweifel, aber eine Wahl hatten sie eh nicht.
So ganz ohne Sattel und Zaumzeug hatte sie sich zuerst sehr unwohl gefühlt, aber inzwischen vertraute sie dem stattlichen Pferd, dass es sie nicht wieder abwarf. Gleich beim zweiten Anlauf hatte sie es geschafft, sich auf den hohen Rücken zu schwingen. Das Reiten war ihr so vertraut wie der Geruch, und wenn sie nicht so angespannt gewesen wäre, hätte sie sich lässig zurückgelehnt.
Ihr ging viel zu viel durch den Kopf. Wahrscheinlich hatten sich über die Jahre einige Fragen angestaut, die sie niemandem hatte stellen dürfen. Ob Zac der Richtige war, um sie zu beantworten? Er war doch ebenso manipuliert worden wie sie, auch wenn er sich anscheinend selbst aus dem gedanklichen Gefängnis hatte befreien können. Wie er das wohl angestellt hatte? War sie so ein schwacher Mensch? Hatte sie
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